Elidar (German Edition)
versichert, dass es einer der Zauber war, den sie selbst zuallererst gelernt hatte.
Seufzend breitete Elidar die Hände aus und formte eine Schale. Silbernes Mondlicht. Sie sah es vor sich, sie konnte seine kühle Kraft fühlen. Es schien durch ihre Adern zu pulsieren. Doch nichts konnte es dazu bewegen, sich in ihren Händen zu zeigen.
Als ihre Finger zu prickeln und zu summen begannen - ein Zeichen dafür, dass sie zu viel Kraft aufwendete, es zu sehr WOLLTE - schüttelte sie die Hände aus und stand auf. Der Junge würde jeden Moment hier erscheinen und sie wollte ihn nicht im Hauskaftan empfangen. Das würde sicherlich nicht den gewünschten Eindruck machen.
Sie hörte, dass Sao-Tan sich im Haus bewegte, und fröstelte. Waren es ein Dutzend Vollmondnächte oder mehr? Es mussten mehr sein. Jede dieser Nächte hatte die Gefahr in sich geborgen, dass er die aufgehende Sonne nicht mehr erblickte. Bisher hatte er immer nur ein paar neue Narben davongetragen, die seinen Körper zerklüfteten. Sie betete zu seiner Drachengöttin, dass diese ihren Schwertmann weiterhin beschützte. Sie selbst konnte dies offensichtlich nicht.
Es klopfte, und sie hörte, wie Sao-Tan zur Tür ging und sie öffnete.
Sie schlüpfte in ihren Mantel und zog die Kapuze über. Ein bisschen Theater gehört dazu, dachte sie.
Es klopfte, diesmal an der Tür zum Studierzimmer. Sie ließ die Tür aufschwingen. »Danke, Sao-Tan«, sagte sie.
Der Leibwächter verneigte sich stumm und zog sich zurück. Der Junge stand unschlüssig in der offenen Tür.
»Komm herein«, sagte Elidar.
Es schien, als wolle er fortlaufen, aber dann trat er ein und wartete.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, zuckten seine Lider, doch er sagte nichts.
Elidar deutete auf den Stuhl. »Setz dich. Verrätst du mir heute deinen Namen?«
Der Junge senkte den Kopf, sein Gesicht wurde von dem struppigen Schopf verdeckt. Er schüttelte den Kopf.
»Erzähl mir von dir«, forderte Elidar ihn auf.
Er sah sie trotzig an. »Was wollt Ihr von mir? Ich habe Euch nichts getan.«
Elidar rieb sich über die Augen. Was wollte sie von dem kleinen Streuner? »Du hast keine Eltern«, sagte sie. »Und ganz sicher hast du keinen Unterschlupf, du bekommst nichts Anständiges zu essen, deine Kleider sind Lumpen. Ich biete dir an, zu bleiben. Du kannst hier wohnen und ich kümmere mich um dich.«
»Warum?«, fragte er.
Warum. Sie wusste es nicht. »Ohne jeden Hintergedanken«, sagte sie laut. »Ich war auch einmal so ein Herumtreiber wie du. Ich hätte mich gefreut, wenn …« Sie unterbrach sich. Hätte sie das? Nein, sie wäre voller Misstrauen gewesen und hätte die Hand gebissen, die versuchte, sie zu füttern. Elidar lachte auf. »Also gut. Möchtest du für mich arbeiten? Du kannst Ibram zur Hand gehen. Einkaufen und fegen und unser Essen kochen.«
Der Junge verengte seine Augen zu Schlitzen. Dann lächelte er. »Ich bin kein Diener.«
»Was bist du denn?«
»Ich werde ein Meisterdieb«, erwiderte er stolz. »Der König der Diebe unterrichtet mich.«
Elidar lachte erneut auf. »Der alte Karem lebt also noch?«
Der Junge öffnete verblüfft den Mund. »Ihr kennt ihn?«
»Ich bin hier aufgewachsen, so wie du«, versetzte sie. »Jeder kennt Karem. Er bildet aber keine Mädchen aus - und ich wollte ohnehin schon immer Zauberer werden.«
»Mich hat er genommen«, sagte der Junge stolz. Dann schlug er sich vor den Mund, und sein Gesicht wurde blass unter der Schicht aus Sonnenbräune und Schmutz.
»Ah«, machte Elidar und setzte sich auf. »Natürlich! Das ist es!« Sie beugte sich vor und musterte das Kind eindringlich. »Kennst du den Alten Drachen?«, fragte sie.
»Warum fragt Ihr das immer?« Das Kind verschränkte die Arme vor der Brust und senkte kämpferisch das Kinn.
»Kennst du ihn?«
»Ja. Ich habe Schulden bei ihm, und er wird mir die Zunge rausreißen und mich fressen, wenn ich sie nicht bezahle. Aber ich werde ein Meisterdieb, und dann ist er zufrieden und ich bin es auch!«
Elidar seufzte. »Ich könnte deine Schulden bezahlen«, bot sie an.
»Ich kann das alleine. Danke. Darf ich gehen?«
»Überleg dir mein Angebot. Du kannst hier wohnen.«
Kopfschütteln. Elidar seufzte. »Nun gut, du willst unabhängig sein. Ich verstehe das. Warte.« Sie hob die Hände und öffnete die Kette, die sie um den Hals trug. »Komm her.« Sie legte dem Mädchen die Halskette um und schloss sie.
»Was ist das?«, fragte das Mädchen misstrauisch.
»Ein Talisman. Er
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