Elidar (German Edition)
nicht ganz so unüberschaubar wie die, die sie gerade verlassen hatte. Aber auch hier wimmelten geschäftige Pfleger durcheinander. Elidar stand eine Weile im Eingang, dann wandte sie sich ab. Wie viele dieser Höhlen mochten wohl existieren? Und wieso hatte nie jemand etwas davon bemerkt?
Sie ging erneut durch die Dunkelheit, tief in ihre Gedanken versunken. Alles, was der Pfleger ihr erzählt und was sie selbst beobachtet hatte, drehte sich in ihrem Kopf wie ein wildgewordener Khev. Die Dkhev, deren kleine Brüder Dakh und Khev waren. All die Eier, Würmlinge und Nestlinge, die in diesen Höhlen aufgezogen wurden …
Sie blieb inmitten der Finsternis stehen und schloss die Augen. Woher kamen die Eier? Und wieso hatte der Dkhev geglaubt, sie gehöre hierher? Sah sie etwa aus wie ein Echsenmann?
Mittlerweile hatte sie jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren. Sie verspürte weder Hunger noch Durst, sie war weder müde noch erschöpft, sondern setzte geduldig Fuß vor Fuß in der kühlen, stillen Dunkelheit.
Endlich gelangte sie wieder in eine kleinere Höhle, die der glich, in der sie aufgewacht war. Heute? Oder gestern? Sie betrat den freundlich beleuchteten und erwärmten Raum, ließ sich auf einen Hocker sinken und schloss die Augen.
»Nun?«, fragte eine Frauenstimme, »hast du dich ein wenig umgesehen?«
Elidar schrak auf. Wieso hatte sie nicht bemerkt, dass eine Frau auf dem Lager ruhte? Sie lehnte in den Kissen, hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah Elidar mit freundlichem Spott an.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Elidar und stand hastig auf.
Die Frau machte eine ungeduldige Handbewegung. »Setz dich hin«, befahl sie.
Elidar blieb stehen. »Mit wem habe ich die Ehre?« Die Frau war gekleidet wie eine wohlhabende Yasemitin. Aber was suchte so jemand hier im Drachennest, tief unter der Welt der Menschen? War sie entführt worden?
Die Fremde lachte, als hätte sie Elidars Gedanken gelesen. »Nun setz dich schon, Kind«, sagte sie. »Hier, trink etwas, iss etwas. Du musst doch hungrig sein.«
Elidar nahm widerstrebend Platz. Sie griff nach dem dargebotenen Becher und roch daran. Es war kühles, klares, und, wie sie dankbar feststellte, überaus wohlschmeckendes Wasser.
Während sie trank und auch von dem Obst aß, das in einer Schale neben ihr auf dem Boden stand, musterte sie ihr Gegenüber. Eine beeindruckende Erscheinung. So groß wie sie selbst - zumindest hatte es den Anschein - aber kräftiger, mit üppigen Formen. Ein herrisches Gesicht, hellhäutig, mit topasfarbenen Augen, die im Fackellicht schillerten wie Schmetterlingsflügel. Ihre Bewegungen ließen bei aller Trägheit die Kraft erahnen, die sich dahinter verbarg. Wie alt mochte diese Frau sein? Sie schien nicht mehr jung, aber auch nicht alt …
»Nun haben wir uns lange genug angeschwiegen«, unterbrach die Frau Elidars Gedanken. »Sei nicht so langweilig. Du hast dich doch schon umgesehen. Willst du etwas wissen?«
»Wer seid Ihr?«, fragte Elidar.
Die Frau lachte, und dieses Lachen ließ Elidar aufhorchen, denn sie kannte es. Sie kannte das Lachen, weil sie es in den vergangenen Equils immer und immer wieder gehört hatte.
»Drachenkönigin«, sagte sie laut. Sie erwartete, das Echo des Lachens in ihrem Inneren zu hören, aber es blieb stumm.
»Sei nicht so formell«, winkte die Frau ab und erhob sich. »Komm, Kind, lass dich ansehen.« Sie legte ihre Hand auf Elidars Schulter und blickte sie prüfend an. »Du bist seit langer Zeit die Erste, die es geschafft hat, nach Hause zu kommen. Wir warten seit sieben Generationen darauf, aber keine deiner Schwestern war stark genug. Das ist bedauerlich für sie - und gut für dich.« Sie lachte wieder. Dann wurde sie ernst. »Du warst im Norden. Dort habe ich vor langer Zeit meine Brut zurücklassen müssen - hast du sie mir mitgebracht?«
Elidar wich ein Stück zurück. Die Frau war ihr unheimlich. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«
Die Drachenkönigin schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Dummes junges Ding. Komm mit.« Sie schnippte mit den Fingern, und Elidar sah sich mit einem Mal in eine völlig anderen Umgebung versetzt. Die Drachenkönigin hielt sie fest, aber dennoch taumelte Elidar. Sie waren in einer der Bruthöhlen, wie sie mit einem schnellen Blick feststellte.
»Ringar-Dru«, rief die Königin. Ein Dkhev eilte herbei und verbeugte sich tief.
»Ringar-Dru, bring uns zu einer leeren Brutkammer«, befahl die Königin.
Der Dkhev
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