Elidar (German Edition)
flüstern und zu donnern schien. Elidars Umgebung schwankte und rutschte, fiel herab und richtete sich auf, drehte sich und verschob sich, und schließlich, inmitten des sinnverwirrenden Wirbels, starrte ein riesiges, juwelenfarbenes Auge auf sie herab. Elidar stand wie erstarrt, die Hand mit dem Licht hoch erhoben, und sah dem Drachen ins Gesicht, in dessen Umarmung sie so fest und ruhig geschlafen hatte.
»Du bist wach«, sagte die Stimme der Drachenkönigin. Sie klang wie eine tiefe Glocke, die gleichzeitig dicht an ihrem Ohr und in weiter Ferne ertönte.
Elidar schluckte ihren Schrecken hinunter. »Ich bin wach«, erwiderte sie. »Nun sage mir, Königin: Was willst du von mir?«
Der Drachenkopf senkte sich nachdenklich. »Warum fragst du mich das?«
Elidar sah sich um, sie wollte nicht vor der Drachin stehen wie ein gescholtenes Kind. Jetzt erst erkannte sie, dass das Lager, auf dem sie so weich und bequem geruht hatte, aus einem Haufen von glitzerndem Zeug bestand. Matt glänzendes Geschirr, goldene Ketten, funkelnde Steine … ein Schatz, der jedem Räuber das Wasser im Munde hätte zusammenlaufen lassen. Sie schob ein paar scharfkantige Gerätschaften aus Gold beiseite und setzte sich auf eine Kiste, in der es leise klimperte. »Du hast mich begleitet, seit ich der schwarzen Sphäre begegnet bin«, erwiderte sie. »Du warst in meinem Inneren und hast mich ganz nach deinem Gutdünken benutzt, um zu tun, was dir gefällt. Ich habe tagelang als Drache gelebt, ohne zu wissen, was ich - oder vielmehr du - in der Zeit alles angerichtet habe. Ich finde, dass ich die Frage zu Recht stelle.«
Die Drachenkönigin senkte die Lider, bis nur noch ein schmaler Streifen das Funkeln ihrer Augen erkennen ließ. Sie schien amüsiert.
»Du irrst dich gewaltig«, sagte sie. »Niemand anderes als du selbst hat getan, was eine junge, gerade erwachte Königin zu tun pflegt. Und niemand ist dort in deinem Kopf und benutzt dich. Du trägst, wie deine Schwestern und ich, die Erinnerung an all deine Leben in dir. Du bist, genau wie ich, die erste der Drachenköniginnen. Wir sterben nicht, meine Tochter. Wir geben nur weiter.«
Elidar lief es kalt über den Rücken. Sie hätte am liebsten ihre Ohren verschlossen und wie ein kleines Kind laut gesungen, um diese schreckliche Stimme und das, was sie sagte, nicht mehr hören zu müssen.
»Lass mich gehen«, sagte sie schließlich. »Ich bitte dich, Königin, zeig mir den Weg hinaus.«
Der riesige Drache erhob sich und entfaltete seine Flügel. »Nein«, dröhnte die Stimme der Königin. »Wenn du gehen willst, dann musst du es aus eigener Kraft schaffen. Keine junge Königin bettelt bei der alten um Hilfe. Wenn du deine Freiheit haben willst, musst du mich besiegen, junges Gewürm!«
Ein Feuerstoß aus ihren Nüstern donnerte auf Elidar hinab. Sie konnte sich beiseite werfen, wobei die scharfkantigen Gerätschaften ihr die Hände zerschnitten.
Ein stachelbesetzter Drachenschwanz fegte zischend durch die Luft und zertrümmerte die Felsnase, hinter der Elidar Zuflucht gesucht hatte. Sie hörte, wie die Drachenkönigin Luft holte und wusste, dass der nächste Feuerstoß sie töten würde.
Mit einem Schrei voller Wut, Trauer und Entsetzen sprang Elidar auf, griff tief in das kalte Feuer in ihrem Kern und verwandelte sich. Dies war das erste Mal, dass sie es aus eigenem Willen tat, und deshalb erlebte sie auch zum ersten Mal in vollem Bewusstsein, wie sich ihre Glieder streckten, wie ihre Haut sich veränderte, ihre Augen schärfer sahen und das Gefühl von Kraft ihren ganzen Körper durchströmte. Das kalte Feuer war nicht mehr nur ein kleiner Herd in ihrem Inneren, sondern erfüllte sie durch und durch, von der Spitze ihres dornigen Schweifes bis zu den Nüstern, aus denen es weißglühend sprühte.
»Ah«, donnerte die Königin und schwang sich mit knatternden Flügeln in die Luft. »Da bist du endlich ganz und gar, meine Tochter, meine Rivalin. Komm zu mir, mein Kind. Komm und töte mich – oder lass dich töten!«
Das Feuer umtoste Elidar wie ein wütender Sturm. Sie ließ die durchsichtige Nickhaut vor ihre Augen gleiten und sprang kraftvoll hoch in die Luft. Die Königin zog unter dem weit entfernten Dach der riesigen Höhle ihre Kreise und stieß höhnische, schrille Schreie aus.
Elidar schlug mit ihren Flügeln und verfolgte die Drachenkönigin. Sie brannte vor Wut und Rachegelüsten. Warum ließ die Königin sie nicht in Ruhe? Warum entführte sie sie, sperrte sie hier
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