Elidar (German Edition)
wahrgenommen hatte, verstärkte sich ein wenig.
»Du bist also Lucas Schützling«, sagte die Frau. Elidar nickte verwundert. Woher wusste sie das?
»Für seine Tochter bist du ein wenig zu alt«, fuhr die Frau fort. »Wann ist er von hier fortgegangen?«
»Vor vier oder fünf Jahreszeiten«, sagte der Mann, den Elidar schon beinahe vergessen hatte. Sie sah ihn verwundert an, denn sie hätte nach seinem Aussehen eine tiefe, laute Stimme erwartet, nicht diesen wohlklingenden, leisen Flötenton.
»Vier oder fünf, ja.« Die Frau nickte und sog an ihrer Pfeife. Sie hob die Hand. Elidar ergriff sie nach einem kleinen Moment des Zögerns, und die Frau zog sie zu sich heran. »Setz dich«, sagte sie wieder, und Elidar nahm auf der Kante des Ruhebettes Platz.
Der große Mann trat einen Schritt näher. »Prinzessin …«, sagte er warnend. Elidar riss die Augen auf. War dies etwa die zweite Frau des Kurators? Morgenblüte, die Schwester des Mondkaisers?
Die Prinzessin beachtete ihn nicht. Sie hielt Elidars Hand in ihrer Hand mit den langen, spitzen, goldlackierten Nägeln. »Du bist ein seltsames Mädchen«, sagte sie. »Kein Wunder, dass Luca vernarrt in dich ist. Er hat eine Vorliebe für seltsame Menschen.« Sie lachte.
Elidar runzelte die Stirn. »Hoheit«, sagte sie versuchsweise, vielleicht war das ja die richtige Anrede. »Ihr kennt Luca gut, wie mir scheint?«
Morgenblüte lächelte sanft und rätselhaft . »Recht gut«, erwiderte sie. »Aber es heißt nicht ›Hoheit‹, mein Kind. Der Titel steht allein der ersten Frau des Kurators zu. Du magst ›Prinzessin‹ zu mir sagen.« Ihre Hand fuhr hoch und der spitze, goldene Nagel bohrte sich in Elidars Hemdkragen. Ein kurzer, scharfer Schmerz an ihrem Hals, dann hatte die Prinzessin das Kettchen hervorgeholt, an dem Lucas Jason-Medaille hing. Elidar wollte zurückweichen, aber die Kette fesselte sie an ihren Platz. Morgenblüte schloss ihre Hand fest um die Medaille. Ihre Augen verschleierten sich.
»Woher wusstet Ihr, dass ich hier bin?«, fragte Elidar.
Zu ihrer Überraschung antwortete der große Mann: »Luca hat geschrieben.«
»Das Schreiben an die Domna«, sagte Elidar. »Er wollte gar nicht, dass sie sich um mich kümmert! Und ich habe mich schon gewundert …«
»Wenn du mit einer Empfehlung für die Prinzessin hier angeklopft hättest, wärst du nicht weit gekommen«, sagte der Mann. »Und außerdem hätte das den allerschönsten Tratsch gegeben. Domna Antela ist ein kratziger alter Busch, aber sie weiß, wann sie den Mund zu halten hat - im Gegensatz zu den Torwächtern. Sie hat das beigelegte Briefchen zuverlässig an meine Herrin weitergeleitet.«
Elidar nickte und ruckte unbehaglich an der Kette, die Morgenblüte immer noch zwischen den Fingern hielt.
»Lass sie«, sagte der Mann leise.
Elidar ergab sich. Sie saß da, wartete, dass die Prinzessin die Medaille losließ, und nutzte die Zeit, um das Gemach und seine Bewohnerin einer genauen Musterung zu unterziehen.
Die Haltung des großen Mannes war jetzt entspannter als bei Elidars Eintreten. Seine Hände, die bereit gewesen waren, das Schwert zu ziehen, hingen locker und ruhig herab. Dennoch war Elidar überzeugt davon, dass er schnell wie ein Skorpion zuschlagen würde, wenn jemand der Prinzessin zu nahe kommen sollte.
Endlich seufzte Morgenblüte leise und öffnete die Augen wieder weit. Sie lächelte Elidar an. »Danke«, sagte sie und berührte die Medaille noch einmal zart mit der Fingerspitze, ehe sie sie ganz losließ. »Er ist nicht glücklich«, sagte sie. »Und er ist nicht gesund. Was ist geschehen?«
Elidar erzählte ihr von Lucas Verletzung, und die Prinzessin schüttelte den Kopf. »Er hätte zurückkommen müssen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Dieser dumme Mann. Dumm und stolz.«
Elidar hob unbehaglich die Schultern. Sie war schuld daran, dass Luca nun ein lahmes Bein hatte, und das wog schwer. Umso schwerer, als dieser mächtigen Frau ganz offensichtlich viel an Luca gelegen war.
»Dich trifft kein Vorwurf«, sagte Morgenblüte hellsichtig. »Er hat getan, was er tun musste. Und er wäre nicht Luca, wenn er nicht versucht hätte, dich zu beschützen.« Sie verengte die Augen und legte einen Finger an Elidars Schläfe, genau auf das winzige Muttermal. »Du bist allerdings wirklich etwas Besonderes, du trägst das Drachenmal«, sagte sie. »Hast du ihn verhext?«
»Nein«, sagte Elidar verdutzt. »Nein, das kann ich nicht. Ich kann ein bisschen Feuer machen und mich
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