Elidar (German Edition)
das beizubringen, was die anderen Novizen ihres Abschnitts ihr voraus hatten, und Ambrosius Schnee gab sich seitdem viermal in der Woche allergrößte Mühe, Elidar einen riesigen Berg an Stoff einzupauken, an dem sie schier verzweifelte.
»Es ist ja nicht so, dass ich das alles nicht verstünde«, erklärte sie ihm. Schnee nickte und hörte ihr mit schiefgelegtem Kopf zu. »Es ist eigentlich sogar ganz leicht, ich kann es mir gut merken, und ich weiß, dass ich die meisten Zauber beherrsche. Aber dieses Band um den Kopf …!« Wieder fuhren ihre Finger an ihre Schläfe, tasteten vergeblich über die Haut ihres geschorenen Kopfes.
»Ich habe mit Honorabilis Bär darüber gesprochen«, sagte Schnee zu ihrer Überraschung. Der junge Magister war ihr immer schüchtern und ein wenig ängstlich erschienen, und der riesige Nicodemus Bär schien ihm ganz besondere Furcht einzuflößen. Wenn er mit dem Honorabilis sprach, schrumpfte Magister Schnee immer in seiner Kukulle zusammen und versteckte die Hände in den weiten Ärmeln, und seine Stimme klang noch leiser und atemloser als sonst.
»Ich habe ihm gesagt, dass du den Dämpfer jetzt seit beinahe einem halben Equil trägst, und dass jeder weiß, dass ein Novize mit Dämpfer nicht in der Lage ist, das zu lernen, was er lernen muss.« Ambrosius Schnee ereiferte sich regelrecht, seine blassen Hände mit den feinen Sommersprossen gestikulierten temperamentvoll. Elidar sah ihn mit offenem Mund an. So hatte sie ihren Nachhilfelehrer noch nie erlebt.
»Du bist ein guter Schüler, du bist fleißig und du verstehst alles sehr schnell. Aber der Dämpfer lässt nicht zu, dass du deine Fähigkeiten voll nutzen kannst. Das ist, als würde man einem Khev die Beine zusammenbinden, bevor man es in ein Rennen schickt! Es ist dumm und unsinnig!«
»Das hast du Honorabilis Bär gesagt?«, fragte Elidar beeindruckt.
Die Schultern des jungen Magisters fielen ein wenig zusammen, und er senkte den Kopf. Er wischte verlegen über seine spitze Nase. »Ja - nein, nicht ganz so«, sagte er. »Aber fast.«
Elidar seufzte. »Er hat geantwortet, dass du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern sollst, richtig?«
Ambrosius Schnee hob seine Mundwinkel um eine Winzigkeit. »Er hat gesagt, dass er mit seiner Magnifizenz darüber sprechen wird«, erwiderte er triumphierend. Seine blassen Augen glänzten.
»Wahr und wirklich?«
»Wahr und wirklich", bekräftigte Schnee. »Ich verstehe nicht, warum sie dich so lange damit quälen. Du hast deine Kräfte längst unter Kontrolle - sogar besser als Sprenz oder Luriel.«
Elidar seufzte. Magister Schnee erlebte ihre ermüdenden und enttäuschenden Sitzungen mit seiner Magnifizenz nicht mit. Es mochte ja sein, dass es ihr mittlerweile gelang, die Flamme des Zorns in ihrem Inneren zu bändigen, aber sie schaffte es nach wie vor nicht, das Ausmaß der Kraft zu kontrollieren, die sie als Zauber nach außen gab. Sie hatte zwei der abgeschirmten Labors regelrecht verwüstet, und nur das schnelle Eingreifen des obersten Magiers hatte verhindert, dass daskomplette Stockwerk in Flammen aufging oder in kleine Stücke geschlagen wurde.
Elidar legte das schwere Buch auf ihre Knie und rieb sich die Hände, die trotz des Sonnenscheins draußen kalt und steif waren. Es war nicht besonders warm in Magister Schnees Studierzimmer, und sie hatte sehr lange still auf einem Fleck gesessen. Sie streckte sich und gähnte.
»Sollen wir für heute Schluss machen?«, fragte Ambrosius Schnee. Er war immer sehr besorgt um ihr Wohlergehen. Wenn sie zu ihm kam, stand in der Regel ein Teller mit Obst oder Nüssen an ihrem Platz, und er achtete streng darauf, dass sie nicht überanstrengte. Anfangs hatte sie seine gluckenhafte Sorge amüsiert, aber dann hatte sie feststellen müssen, wie sehr der Unterricht in all seinen Facetten sie anstrengte. Sie gewöhnte sich sogar an, einen Teil der nachmittäglichen Klausur für ein kleines Schläfchen zu nutzen, damit sie das abendliche Pensum mit neuer Frische aufnehmen konnte. Eine Weile lang hatte sie sogar befürchtet, krank zu sein, dann wieder gab sie dem Dämpfer die Schuld an ihrer Mattigkeit - bis sie eines warmen Sommertags Valerian im kleinen Rosengarten gefunden hatte. Er hatte sich unter dem Fliederbusch zusammengerollt und schlief fest und tief mitten am helllichten Tag.
Die Magister nahmen die Novizen unbarmherzig ran. Sie lernten und übten vom ersten Morgengrauen bis in die späte Dämmerung. Der kleine,
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