Elidar (German Edition)
reifen und schickte ihn los. Dieses Mal bewegte sich der Zweig nicht einmal um eine Haaresbreite.
Elidar zischte wie eine Schlange, packte ihre Kraft, bündelte sie und schoss sie auf den widerspenstigen Zweig. Der hob sich schaukelnd eine Handspanne weit in die Luft und explodierte dann mit einer bläulichen Stichflamme.
»Toll«, sagte Valerian. »Wenn seine Magnifizenz es nicht selbst gesagt hätte, würde ich annehmen, dass du Feuer bist - und nicht Wind.«
Elidar ließ sich zurück ins Gras sinken und starrte in den zartblauen Himmel. »Ich auch«, murmelte sie.
Beide hingen schweigend ihren Gedanken nach. Elidar dachte beunruhigt an den morgigen Unterricht bei Honorabilis Bär. Valerian hatte recht, den Schwebezauber sollte sie längst beherrschen. Bär würde ihr Faulheit vorwerfen, und sie wusste nicht, was ihr lieber war: zuzugeben, dass sie den Zauber immer noch nicht beherrschte oder als faul zu gelten. Sie seufzte tief.
»Ich würde es ihm sagen.« Valerian musterte sie mitfühlend. »Du trägst immer noch den Dämpfer, wahrscheinlich ist er daran schuld, dass du nicht so recht vorwärts kommst.«
Elidar nickte halbherzig. »Zeigst du mir noch mal, wie du es machst?«
Valerian hob beiläufig die Hand und deutete auf einen taubeneigroßen Kieselstein, der neben Elidars Ellbogen lag. Der Stein wackelte ein bisschen, dann erhob er sich leicht und graziös in die Luft , schaukelte vor und zurück und segelte davon über das wogende Schilf. Valerian schnippte mit den Fingern, und Elidar hörte das laute Plumpsen, mit dem der Stein in den Bach fiel.
Sie drehte sich wieder auf den Rücken und legte ihren Arm über die Augen. »Ich lerne das nie.«
»Und ich werde es nie lernen, einen Zweig explodieren zu lassen. Oder eine Zimmerwand anzusengen«, erwiderte Valerian lachend. Elidar fand das nicht besonders tröstlich. Sie grunzte nur und beschloss, ein wenig zu schlafen.
Ein scharfer Ruf riss sie aus ihrem Schlummer. Sie schreckte hoch und antwortete laut: »Ja, hier!«
Neben ihr war Valerian ebenso aufgefahren. »Ich bin hier, Magnifizenz.«
Elidar vernahm die Antwort in ihrem Kopf: »Ich brauche dich in der Halle. Rasch, mein Junge.«
Valerian und sie antworteten im Chor und liefen los.
»Was mag er von uns wollen?«, keuchte Elidar, während sie durch den Gemüsegarten hetzten.
»Hast du in letzter Zeit was ausgefressen?«, prustete Valerian zurück.
Elidar blätterte durch ihre Erinnerungen. Sie war nicht vollkommen unschuldig - die Küche war nicht sicher vor ihren Beutezügen, gestern hatte sie Luriels Tasche so gut mit einem Blendzauber versteckt, dass er drei Stunden danach hatte suchen müssen und eine Unterrichtsstunde darüber versäumte, und möglicherweise war der Novizenmeister inzwischen dahinter gekommen, wer für die unpassierbar gemachte Treppe zu seinem Arbeitszimmer verantwortlich war. Sie ächzte leise. Das war ein Gemeinschaftswerk mit Valerian gewesen!
»Die Hintertreppe«, sagte sie.
Valerian warf ihr einen entsetzten Blick zu. »Meinst du, sie sind uns draufgekommen?« Sie nickte. »Aua«, sagte er.
In der Halle stand wartend Magnifizenz Sturm. Er trug seine würdevolle, nachtschwarze Robe und den weiten Mantel mit der großen silbernen Spinnenschließe. Er stützte sich auf einen ebenholzschwarzen Stock mit silbernem Knauf.
Beide hielten vor ihm an und bemühten sich, nicht zu laut zu schnaufen. Sturm sah sie über den Rand seines Kneifers an. »Was gebt ihr denn für ein Bild ab?«, fragte er.
»Wir waren im Garten - wir haben gelernt«, antworteten beide durcheinander.
»Gelernt«, sagte er in überaus skeptischem Ton. »Nun gut. Elidar, lass deine Tasche hier stehen. Valerian, ist das etwa die sauberste Tunika, die du besitzt?« Er schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Zeit. Folgt mir.«
Valerian und Elidar sahen sich fragend an und beeilten sich dann, dem obersten Magus auf den Fersen zu bleiben. Magnifizenz Sturm führte sie nicht, wie erwartet, hinauf in sein Studierzimmer, sondern schnurstracks aus dem Haupteingang und durch das Tor, vor dem sie eine geschlossene Kutsche erwartete. Sturm ignorierte den Kutscher, der bei ihrem Anblick vom Bock sprang und den Schlag öffnete, und schob die beiden Novizen in die Kutsche. Dann stieg er selbst ein, pochte mit seinem Stock gegen das Dach, und die Kutsche rollte an.
Elidar sah aus dem kleinen Fenster. Mit Erschrecken wurde ihr bewusst, dass sie zum ersten Mal ihren Fuß aus dem Ordenshaus setzte, seit Sao-Tan
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