Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Andersson. Aber er sagte nichts.
»Das hat allerdings auch nicht viel gebracht. Die Möbel waren abgenutzt und sie besaß keine Antiquitäten. Was sie hinterlassen hat, reicht nicht einmal für die Beerdigungskosten und mein Honorar. Leider ist gar nichts übrig geblieben.«
Mist, dachte Olavi Andersson. Was soll ich jetzt machen?
»Bis auf einen Punkt, wie gesagt. Die Wohnung gehörte ja ihr.«
Wirklich?, dachte Olavi Andersson. Er sah Johannes Elwin an.
»Und was bedeutet das?«
»Dass Sie Geld bekommen, sobald sie verkauft ist. Ich habe die Sache einem Makler übergeben. Gerade heute erscheint eine Annonce. Der Makler ist der Meinung, dass er die Wohnung für mindestens 150000 Kronen verkaufen kann.«
»Was? Ist das wahr?«
Johannes Elwin lächelte.
»Ja. Allerdings gehen von der Summe die Steuer und die Maklergebühr ab, und ich bekomme auch noch etwas, weil mein Honorar noch nicht gedeckt ist. Aber zwischen 80000 und 90000 werden wohl für Sie bleiben.«
»Und wann?«
»Das dauert mindestens noch einen oder zwei Monate.«
»Aber ich brauche jetzt Geld. Es ist dringend.«
Johannes Elwin lehnte sich zurück und spielte mit dem Stift zwischen seinen Fingern.
»Ich verstehe. Auf dem Konto befindet sich noch der Ertrag vom Verkauf des Hausrats. Das ist eigentlich mein Honorar. Aber ich bin bereit, mit der Begleichung zu warten, bis der Wohnungsverkauf abgeschlossen ist. Ich sollte das nicht tun, aber Sie können das Geld als eine Art Vorschuss auf das Erbe bekommen, natürlich gegen Quittung. Es handelt sich um gut zehntausend Kronen.«
Olavi Andersson stand auf und reichte Elwin die Hand.
»Danke. Ihr Verhalten ehrt Sie. Es wird das Leben eines Menschen retten.«
Auf der Föreningssparbank hob er den ganzen Betrag ab, ging sofort zum Hauptbahnhof und kaufte eine Fahrkarte. Schon am nächsten Morgen wollte er den Zug nehmen.
Elina hatte sich mit Ragnar Sundstedt um drei Uhr nachmittags in seiner Wohnung verabredet. Er wohnte in Önsta-Gryta, dem nördlichsten Stadtteil, in einem Fertighaus, das nach Elinas Eindruck im typischen Stil der frühen achtziger Jahre erbaut war. Holzfassade, blassgelb gestrichen, eineinhalb Stockwerke und nicht ein einziges dekoratives Detail, das den Blick fesselte. Sundstedts Frau öffnete ihr die Tür und Elina begriff sofort, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Warum hab ich nicht nachgedacht, ärgerte sie sich, das geht so nicht. Ich muss mit Sundstedt allein sein.
Sie lächelte und stellte sich vor.
»Aurora Sundstedt«, antwortete die Frau, »mein Mann kommt gleich. Er hat angerufen und gesagt, dass er sich ein wenig verspätet. Die Sitzung hat etwas länger gedauert. Kommen Sie herein und setzen Sie sich.«
»Danke«, sagte Elina. Aurora, dachte sie. Was für ein schöner Name. So würde ich meine Tochter nennen.
Sie betrachtete die Frau. Aurora Sundstedt war das totale Gegenteil ihres Mannes. Größer als er und kräftig, mit vollem Haar.
Sie führte Elina ins Wohnzimmer und zeigte auf die Couch.
»Sie möchten bestimmt Kaffee«, sagte sie und ging in die Küche, ehe Elina antworten konnte.
Elina sah sich um. Im Wohnzimmer gab es keine Bücher. In einem braunen Regal standen lauter Fotos. Sie trat näher und schaute sie sich an. Auf einem, vermutlich das Hochzeitsfoto der Eheleute Sundstedt, lächelten zwei junge Menschen in die Kamera. Die Frau auf dem Bild, Aurora, war schlank und hatte große braune Augen. Sie war auffallend hübsch, schon damals ganz das Gegenteil ihres Mannes.
»Möchten Sie ein Butterbrot oder lieber Kuchen?«, fragte Aurora Sundstedt, als sie mit einem Tablett ins Zimmer zurückkehrte.
»Ein Stück Sandkuchen, bitte«, sagte Elina, nachdem sie einen Blick auf den Kuchenteller geworfen hatte, und setzte sich wieder auf die Couch.
Verstohlen musterte sie Aurora Sundstedts Gesicht. In ihren fülligen Zügen lag noch die Spur ihrer einstigen Schönheit. Aurora Sundstedt stellte schweigend das Geschirr auf den Tisch.
»Ich … wir sind natürlich erschüttert über Wiljams Tod«, sagte sie leise.
Elina hob den Kopf und sah geradewegs in Aurora Sundstedts dunkle Augen.
Ich hab’s verstanden, dachte Elina. Ich habe verstanden, was du eigentlich sagen wolltest. Hoffentlich lässt Ragnar Sundstedt noch eine Weile auf sich warten.
Sie war unschlüssig. Diese Chance würde sie vermutlich nicht noch einmal bekommen. Aber sie war ganz und gar unvorbereitet darauf. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das Gespräch in Richtung des
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