Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
wie es geschmeckt habe, antwortete sie mechanisch »gut«. Sie wollte gerade um die Rechnung bitten, da sie inzwischen der vorletzte Gast war und keine Lust hatte, allein im Restaurant sitzen zu bleiben, als die Kellnerin mit einem Aschenbecher an ihren Tisch kam.
»Rauchen Sie?«
»Nein«, antwortete Elina.
»Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten und dabei eine Zigarette rauchen?«
Elina machte eine unbestimmte Handbewegung und die Frau setzte sich.
»Ich rauche zu viel«, erklärte sie und lachte heiser. »Ich mache alles zu viel! Rauchen, arbeiten, glauben, hoffen – überhaupt alles. Alles, was schlecht ausgehen kann.«
Da Elina nicht wusste, was sie antworten sollte, stellte sie eine Frage, die die Frau sicher schon viele Male gehört hatte.
»Woher kommen Sie?«
»Man hört, dass ich nicht von hier bin, was? Aus Russland.«
Sie streckte die Hand über den Tisch.
»Nadia, aus Moskau.«
»Elina Wiik. Aus … ja, woher komme ich eigentlich? Stockholm, nehme ich an. Mein Vater stammt aus Finnland.«
»Ha!«, platzte die Frau heraus. »Mein Vater stammt aus Karelien. Er ist aber kein Finne, sondern Russe. Trotzdem sind wir dann ja fast verwandt. Warten Sie, ich hole ein Glas Wein.«
»Bitte nicht für mich«, wehrte Elina ab.
»Trinken Sie«, sagte Nadia, als sie mit zwei Gläsern zurückkehrte und ihres hob.
Elina gehorchte ohne zu widersprechen.
»Wie lange wohnen Sie schon hier?«, fragte sie. »Sie sprechen ja fast fließend Schwedisch.«
Nadia zündete sich eine weitere Zigarette an, bevor sie antwortete.
»Seit neun Jahren. Bin hierher gekommen mit einem Mann, der eine Frau wollte. Ich wollte raus aus dem Elend, deshalb hat er mich gekriegt. Als er mich drei Jahre lang gehabt hat, fand ich, es reicht. Was Besonderes war er nicht, aber die Fahrkarte wert. Sind Sie verheiratet?«
»Nein, noch nicht.«
»Dann wollen Sie also heiraten?«
»Irgendwann schon. Das heißt, nein.«
»Wollen Sie oder wollen Sie nicht?«
»Ich habe keinen Freund, falls Sie das wissen wollen.«
»Nicht? So hübsch und keinen Mann?«
Elina musste lachen. Gleichzeitig wunderte sie sich, dass sie so bereitwillig Fragen nach ihrer Person beantwortete.
»Ich habe eine Tochter«, erzählte Nadia. »Nina ist acht. Man kann über meinen Verflossenen sagen, was man will, aber dazu taugte er. Sie sollten Nina mal sehen. Sehen, wie sie Ballett tanzt. Wie ein Schmetterling auf einer Sommerwiese.«
»Ich sehne mich auch nach Kindern. Aber dazu brauche ich einen Mann.«
»Nein, doch, natürlich, aber später sind sie nur im Weg. Glauben Sie mir, am besten kommt man ohne Männer klar.«
Elina betrachtete Nadias Gesicht. Graue Augen, lange, gerade Nase, volle Lippen, die unaufhörlich Zigarettenrauch einsogen. Eine Stimme unterbrach ihre Gedanken. Sie schaute auf, während Nadia ihre Zigarette ausdrückte.
»Vielleicht möchten die Gäste bedient werden«, schnarrte ein Mann in Oberkellnerkleidung, der an Elinas Tisch getreten war und Nadia ärgerlich anstarrte.
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Elina.
»Es gibt ja auch noch andere Gäste, nicht wahr, Nadia?«
»Einen«, sagte Nadia. »Sie können den da hinten ja mal fragen, ob er was möchte. Oder haben Sie etwas Wichtiges zu tun? Sehen Sie nicht, dass ich mich um diesen Gast kümmere?«
Der Mann lächelte Elina schief an.
»Ich hoffe, sie stört Sie nicht und tut bald, wofür sie bezahlt wird.«
Er drehte sich um und ging.
»Das war vielleicht nicht so gut«, sagte Elina.
Nadia zuckte mit den Schultern.
»Gut, schlecht, wie soll ich das wissen? Er ist nur sauer, weil er nicht mit mir schlafen darf. Aber ich habe meinen armen Mann nicht verlassen, um etwas mit diesem Walross anzufangen.«
»Und wenn sie hier rausfliegen?«
»Na und? Ich komm schon zurecht.«
Elina sah auf die Uhr. Es war fast elf.
»Ich muss gehen. Muss morgen früh zur Arbeit.«
Nadia reichte Elina die Hand.
»Kommen Sie nächste Woche wieder«, bat sie. »Dann hab ich um acht Schluss, wir gehen aus und zeigen denen mal, wer in der Stadt das Sagen hat. Sie kommen doch, oder?«
Elina versprach es.
12
Die Schrift war krakelig. Schönschreiben war nicht gerade sein Lieblingsfach in der Schule gewesen. Der ungewöhnliche Name hatte zu dem unschönen Eindruck beigetragen.
Er hatte das einzige Einzelzimmer in der Jugendherberge gemietet. Da die Leute sich an den Vornamen Olavi erinnern würden – das wusste er aus Erfahrung –, entschied er sich für Karl Andersson. Karl war sein zweiter
Weitere Kostenlose Bücher