Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
war auf einer Besprechung, die ich nicht einfach verlassen konnte.«
Aurora Sundstedt murmelte ein schwaches »Hallo« und ging ins Bad.
Gut zwei Stunden später saß Elina in ihrem Dienstzimmer. Das Gespräch mit Ragnar Sundstedt hatte ihr nicht halb so viel Einblick in die Schicksale dieser Menschen verschafft wie das mit seiner Frau. Die Frage nach Wiljam Åkessons sexueller Veranlagung hatte sie ihm gegenüber mit großer Vorsicht berührt, sodass er gar nicht verstanden hatte, worauf sie hinauswollte. Seiner Antwort hatte sie entnommen, dass er keine Geheimnisse über Åkesson zu berichten hatte. Auf die Fragen nach Åkessons möglichen Freundinnen hatte er ihr nur einen Namen nennen können, den einer ehemaligen Sekretärin. Mit ihr, glaubte er, habe Åkesson Ende der achtziger Jahre ein langjähriges Verhältnis gehabt. Åkesson habe nie über sein Privatleben gesprochen.
Doch trotz Aurora Sundstedts Enthüllungen war es Elina nicht gelungen, in der Mordermittlung auch nur einen Millimeter voranzukommen. Sie sah nicht, wie diese unglückliche Liebe mit dem Mord zusammenhängen sollte oder sie in der Arbeit weiterbringen würde. Sie schlug das Telefonbuch auf und suchte nach dem Namen der Sekretärin. Die Frau wohnte im Zentrum, doch es meldete sich niemand, als Elina anrief, und sie beschloss, bis zum nächsten Tag zu warten.
Sie verließ ihr Zimmer und schloss es ab. Es war nach fünf und kein Mensch zu sehen.
»Da bist du ja!«
Ein Stück weiter auf dem Korridor steckte Kärnlund den Kopf aus seinem Zimmer.
»Komm doch bitte mal einen Augenblick zu mir«, sagte er kurz.
Mit einem unbehaglichen Gefühl ging Elina auf ihn zu.
»Bitte setz dich. Dieses Fax habe ich vor einer Stunde bekommen.«
Er reichte ihr über den Schreibtisch einige Blätter. Auf dem obersten stand in halbfetter Schrift »Polizei Stockholm«. Es war eine Anzeige von einem Mann namens Kurt Jörgen Hansson, sechsunddreißig Jahre, wohnhaft in Nacka. Rasch überflog Elina Hanssons Aussage und legte die Blätter wieder auf Kärnlunds Schreibtisch.
»Was ist passiert?«, fragte Kärnlund.
»Ungefähr das, was da steht«, antwortete sie tonlos.
»Du hast ihm den Finger gebrochen, weil er sich in einem Restaurant mit seiner Frau gestritten hat und dir dann ein ›fuck you‹ zeigte?«
»Ja, aber ich habe ihn nicht mit Absicht verletzt. Er hat mich angespuckt.«
»Hat er dich bedroht? Nein, warte, antworte nicht darauf. Um die Sache wird sich die interne Ermittlung kümmern. Aber das ist nicht gut. Daraus kann eine Anklage wegen Körperverletzung werden. Ich habe überlegt, ob ich schon jetzt Maßnahmen ergreifen soll.«
»Schließ mich nicht aus, alles, aber nicht das!«, flehte Elina.
»Ich habe entschieden, die Ermittlung abzuwarten. Der Entschluss ist von oben abgesegnet. Du darfst weiterarbeiten.«
»Danke«, sagte Elina leise.
Oskar Kärnlund nickte leicht. Elina erhob sich und ging.
Sobald sie in ihrer Wohnung war, warf sie sich in den Wohnzimmersessel, beugte den Oberkörper vor und legte die Arme über den Kopf.
»Ich gottverdammte Idiotin«, stöhnte sie.
Nachdem sie mehrere Minuten wie gelähmt dagesessen hatte, zwang sie sich aufzustehen. Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte Susannes Nummer. Aber dort meldete sich niemand. Sie versuchte die quälenden Gedanken zu vertreiben, was ihr jedoch nicht gelang. Appetit hatte sie keinen und auch keine Lust, sich etwas zu kochen.
Mehrere Male versuchte sie Susanne zu erreichen, aber um neun gab sie auf. Ihr Magen knurrte und sie beschloss, essen zu gehen, obwohl ihre Laune auf dem Nullpunkt angekommen war.
Am besten in einem Lokal, in dem das Essen auch wirklich gut ist und nicht nur satt macht, dachte sie.
Sie ging zum Hafen hinunter, wo einige Restaurants neu eröffnet hatten, ein Versuch der Kommune, das Mälarufer für Menschen zugänglich zu machen und nicht nur für Transportschiffe und Getreidesilos. Das Lokal, das sie betrat, war jedoch nur spärlich besetzt.
Eine Kellnerin kam an ihren Fenstertisch und legte ihr wortlos die Speisekarte hin. Elina entschied sich für Zanderrouladen, trotz des gepfefferten Preises.
»Und ein Glas Weißwein.«
Die Kellnerin nahm die Speisekarte mit einem matten Lächeln und ging. Elina schaute ihr nach. Sie hatte ihre Haare blond gefärbt und eine Haltung, die Elina als stolz interpretierte.
Das Essen versetzte sie nicht gerade in Begeisterung, aber als die Kellnerin den Teller abräumte und gleichzeitig fragte,
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