Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Bild ist Åkesson nicht älter als fünfundzwanzig«, sagte Elina. »Und ich glaube, der andere ist Bergenstrand als junger Mann. Auch wenn er auf diesem Bild korpulent ist und auf allen anderen Aufnahmen dünn wie eine Bohnenstange. Das lässt sich ja leicht überprüfen. Auf jeden Fall hatten beide das gleiche Foto in ihrer Wohnung.«
»Die Verbindung zwischen ihnen«, ergänzte Rosén.
»Ich glaube, es wurde 1962 in Luleå aufgenommen«, sagte Elina. »Nach einer Debatte zwischen Sozialdemokraten und Arbeitgebern über Rationalisierungsmaßnahmen in der Wirtschaft. Oder vor der Debatte. Jedenfalls ungefähr zu der Zeit.«
Fast riss sie Rosén das Album aus den Händen.
»Bei Åkesson gab es einen Zeitungsartikel, der über die Debatte berichtete«, fuhr sie fort und wandte sich an Tallberg. »Einer der Teilnehmer war Åkesson, und der andere Mann auf dem Foto hat wahrscheinlich auch daran teilgenommen. Bergenstrand, wenn er es wirklich ist.«
»Und jetzt, vierzig Jahre später, hat jemand beschlossen, das endgültige Argument beizusteuern«, sagte Tallberg, »um die Debatte endlich für sich zu entscheiden.«
»Wir müssen herausfinden, was Åkesson und Bergenstrand gemeinsam hatten«, sagte Rosén, ohne auf Tallbergs ironischen Kommentar zu achten. »Vielleicht sind sie sich bei der Diskussion zum ersten Mal begegnet, hielten weiterhin Kontakt und haben sich im Lauf der Zeit gemeinsame Feinde geschaffen.«
»Åkessons Frau wusste nicht, wer der Mann auf dem Bild ist. Und sie und Åkesson waren bis weit in die siebziger Jahre verheiratet. Eine enge Freundschaft kann es also nicht gewesen sein«, bemerkte Elina.
»Oder eine enge Freundschaft im Geheimen«, sagte Tallberg. »Und wie hängt das mit Håkan und Åkessons alkoholsüchtiger Tochter zusammen?«
»Das ist nur eine Theorie«, sagte Rosén. »Aber eine, die es wert ist, überprüft zu werden. Wir müssen für alles offen sein.«
Sie blieben noch eine Stunde im Haus. Zuletzt kehrte Elina noch einmal in das Arbeitszimmer zurück und musterte die leeren Regale, in denen die Ordner gestanden hatten. Sie waren für den Transport ins Präsidium in einen Karton gepackt worden.
Sie fühlte sich sonderbar zufrieden nach der Entdeckung des Fotos. Aber plötzlich tauchte ein Gedanke in ihrem Kopf auf. Er bestand nur aus einem Wort und war mehr ein Gefühl.
Pelle, dachte sie.
Sie spürte eine leise Unruhe. Warum ging ihr dieser Pelle, der Erland Bergenstrand auf einigen Reisen begleitet hatte, nicht aus dem Kopf? Die Unruhe verwandelte sich in Irritation. Wieder einmal war da etwas, das sie nicht klar formulieren konnte.
16
Er war noch einen weiteren Tag in der Jugendherberge geblieben. Falls mich das Mädchen an der Rezeption etwas zwielichtig findet, würde es ihr im Nachhinein vielleicht merkwürdig vorkommen, wenn ich direkt nach dem Mord abreise, hatte Olavi Andersson gedacht.
Diesen Tag hatte er damit verbracht, über die Avenyn zu bummeln, was ihm wie Urlaub vorgekommen war. Er fühlte sich entspannt und heiter. Heiterkeit war ein Gefühl, das er viele Jahre nicht gekannt hatte. Er hatte sich sogar getraut, sich in ein Straßencafé zu setzen und eine Coca-Cola zu bestellen. Obwohl die meisten anderen Gäste Wein oder Bier tranken, hatte er keine Gier nach Alkohol empfunden. Er hielt es für ein gutes Zeichen, dass er es schaffen würde.
Auf der Zugfahrt zurück nach Västerås war ihm übel geworden. In letzter Sekunde hatte er es zur Toilette geschafft und sich übergeben. In Västerås nahm er ein Taxi nach Hause. Dann hatte er achtundvierzig Stunden geschlafen.
Am Samstag fühlte er sich wieder einigermaßen normal. Aber die Angst lauerte noch in seinem Magen und es fiel ihm schwer, still zu sitzen. Er beschloss, Zigaretten kaufen zu gehen, obwohl noch eine halb volle Schachtel auf dem Couchtisch lag.
Das Schwerste steht mir noch bevor, dachte er auf dem Weg zum Skallbergskiosk. Wie soll ich vorgehen?
»Merhaba Olli«, sagte der Mann im Kiosk. »Du neue Kleidung gekauft? Ich finden, du sehen munter aus.«
»Danke«, murmelte Olavi Andersson. »Ich hab mit dem Schnaps aufgehört.«
»Gut. Schnaps nix gut. Wie immer?«
Er legte eine Schachtel Marlboro vor seinen Kunden hin. Olavi Andersson bezahlte und kehrte in seine Wohnung zurück. Er nahm den Fahrstuhl nach oben. Einige Male hatte er versucht, zu Fuß hinaufzusteigen, um seine Muskeln zu trainieren, hatte es aber nie geschafft. Er steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und drehte
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