Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Einmal ist Zufall. Zweimal ist Koinzidenz. Dreimal ist Konspiration.«
»Das hab ich noch nie gehört. Wo hast du das denn her?«
»Ich erinnere mich nicht mehr.«
John Rosén verzog den Mund.
»Hier ist wohl Zufall, dass beide Kinder haben, die Alkoholiker geworden sind«, sagte Elina. »Koinzidenz ist, dass beide zur gleichen Zeit in Vietnam waren. Konspiration ist, dass sie auf demselben Foto zu sehen sind.«
»Hm. Und jetzt ist ein Alkoholdealer umgebracht worden. Aber das kann ja kaum etwas mit unseren Morden zu tun haben. Dass Åkesson und Bergenstrand beide Kinder hatten, die Alkoholiker wurden, halte auch ich für einen Zufall. Statistisch gesehen ist es zwar eine Überrepräsentation, aber es gibt viele Alkoholiker und alle haben Eltern. Lebende oder verstorbene. Jetzt müssen wir auf die anderen beiden Punkte setzen: Luleå und Vietnam.«
»Okay«, sagte Elina und breitete die Arme aus. »Du fährst nach Luleå und ich fliege nach Vietnam.«
»Genauso habe ich es mir vorgestellt, nur deine Vietnamreise nicht. Ich bezweifle, dass Kärnlund den Antrag für das Ticket unterschreiben würde. Uns bleibt nichts arideres übrig, als unsere Ermittlungen auf heimischem Boden fortzuführen, in Västerås und Luleå.«
»Pech. Bist du übrigens schon mal in Luleå gewesen? Oder in Vietnam?«
»Weder noch.«
»Ich war mal in Luleå. Zuletzt vor ungefähr fünfzehn Jahren. Ich wollte auf dem Rückweg eine Zwischenlandung in Vietnam machen, aber daraus wurde nichts. Und jetzt verpasse ich wieder die Chance, dorthin zu kommen.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Tallberg hat mich angerufen«, sagte Rosén dann. »Er hat gestern Håkan Bergenstrand in einem Spelunkenviertel verhört, bevor er morgens wieder anfing zu saufen. Tallberg sagt, er habe nicht den Eindruck, dass Håkan weiß, wer Elisabeth Åkesson ist.«
»Also kein Zusammentreffen und keine Konspiration«, folgerte Elina. »Nur ein Zufall. Was machen wir jetzt?«
»Ich fahre nach Luleå und versuche herauszubekommen, was eigentlich bei dieser Debatte 1962 passiert ist. Und du kriegst raus, was Åkesson in Vietnam getrieben hat. Tallberg muss dasselbe mit Bergenstrand in Göteborg tun. Du kannst sofort anfangen. Ich hab einen Flug gebucht und muss in einer halben Stunde fahren. Jetzt geht es los. Wir werden die Uhren zurückdrehen müssen.«
20
»Sie fragen nach 1962?«
Sigurd Marklund sah John Rosén an, während sie die Köpmangatan entlanggingen. Sein Bauch wackelte bei jedem Schritt. Der Reißverschluss seiner braunen Lederjacke würde sich nicht schließen lassen, selbst wenn er es gewollt hätte.
»Mir ist klar, dass es nicht ganz leicht ist, sich zu erinnern«, sagte John Rosén.
»Ach was, das fällt mir nicht schwer. Aber es war einfach eine andere Zeit. Vielleicht verstehen Sie das nicht. Wie alt sind Sie?«
»Sechsundvierzig.«
»Hier müssen wir rein.«
Sigurd Marklund zeigte auf das Max-Hamburger-Lokal und sie traten ein.
»Die letzte Bastion im Kampf gegen den US-Imperialismus hier in Norrbotten«, sagte Marklund lachend. »Haben McDonald’s in die Knie gezwungen. Aber nicht lange. Jetzt haben auch wir die Amerikaner hier.«
»Ich bezahle«, sagte Rosén, als sie ihre Bestellung aufgegeben hatten. »Eine andere Zeit. Klar. Aber woran denken Sie?«
»Damals ging es härter zu. Politisch. Es gab mehr Klassenkampf. Und Kampf gegen die Kommunisten. Diese Debatte, von der Sie sprachen, an die erinnere ich mich gut. Ich war dabei und hab sie organisiert. Und saß später im Publikum. Hinterher mussten wir viel Kritik einstecken. Die Leute hatten den Eindruck, wir wären den Arbeitgebern in den Arsch gekrochen. Und Sie sollten mal hören, wie das klingt, wenn die Leute hier im Norden sauer sind. Die nehmen kein Blatt vor den Mund. ›Rationalisierungen‹, haben sie gesagt, ›das ist nur eine neue Methode, uns noch mehr auszubeuten.‹ Sie haben uns übel genommen, dass wir auf das Gerede von Entlassungen eingegangen sind. Es hat Leute gegeben, die sind nach dieser Diskussion zu den Kommunisten übergelaufen. Und die haben das Ganze noch angeheizt. Die haben die Chance ergriffen, um mehr Anhänger zu werben. Himmel, da wehte uns ein scharfer Wind ins Gesicht. Aber im Nachhinein finde ich, dass wir Recht hatten. Wie hätte es denn ausgesehen, wenn wir Sozialdemokraten dagegen gewesen wären, die Produktion voranzutreiben? Das ganze Land wäre ins Hintertreffen geraten. Maschinenstürmer sind wir nie gewesen.«
John Rosén legte seine
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