Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
konnte. Der Einzige, der überhaupt etwas zu wissen schien, war Sixten Eriksson. Sie hatten sich für den nächsten Tag um neun Uhr verabredet. In seiner Wohnung in Viksäng. Den Treffpunkt hatte Eriksson bestimmt. Und jetzt, fünf Minuten vor neun, suchte Elina die Nummer 3 6 unter den dreistöckigen Häusern mit der gelblich weißen Plattenfassade in der Regementsgatan.
Erik Enquist hatte Sixten Eriksson schon einmal in dieser Ermittlung vernommen, aber Elina hatte nicht mit Eriksson gesprochen und konnte sich auch nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er erinnerte sie an einen Specht, als er ihr die Tür öffnete, und sie war drauf und dran, ihn zu fragen, ob er auch Mitglied in Åkessons Singvogelchor war.
»Sie wollten über Vietnam reden«, sagte Sixten Eriksson ohne die geringste Andeutung eines Zwitscherns in der Stimme. »Darf ich fragen, warum?«
»Natürlich«, sagte Elina. »Wir versuchen Näheres über Wiljam Åkessons Aktivitäten in der Vergangenheit zu erfahren, um eine Erklärung für den Mord zu finden. Unter diesen Umständen ist alles von Interesse. Besonders das, was von Åkessons täglicher Routine abwich.«
»Aber was sollte denn sein Engagement in den siebziger Jahren mit dem Mord von heute zu tun haben?«
»Wir tasten uns langsam vor. So einfach ist das.«
»Sie wissen also nichts. Was wollen Sie von mir wissen?«
»Wieso hat sich Wiljam Åkesson beim ›Schwedischen Komitee für Vietnam, Laos und Kambodscha‹ engagiert, wie es damals hieß?«
»Das war eine Bewegung, die von der Partei unterstützt wurde. Jemand musste ja die Arbeit in unserem Namen ausführen.«
»Unterstützt wurde? Wie meinen Sie das?«
»Das ist doch hinreichend bekannt. Im Land wuchsen die Proteste gegen den Krieg der USA in Indochina, genau wie überall auf der Welt. Olof Palme hielt schon 1965 eine berühmte Rede in Gävle, wie Sie sich vielleicht erinnern.«
»Ich wurde 1969 geboren und hab manchmal sogar Probleme mich daran zu erinnern, was ich gestern getan habe.«
»Aha. Nun, wie dem auch sei, in Schweden begannen die FNL-Gruppen Demonstrationen zu organisieren und Geld zu sammeln. Das waren lauter tüchtige junge Leute. Die konnten Menschen mitreißen. Aber sie gehörten der extremen Linken an. Wir konnten nicht zulassen, dass sie die Vietnampolitik übernahmen. Das hätte Schwedens Verhältnis zu den USA geschadet und die Partei hätte viele junge Mitglieder verloren. Das ›Schwedische Komitee‹ war unsere Antwort.«
»Hat es sich so entwickelt, wie Sie es erwartet haben?«
»Na ja, im Nachhinein muss ich sagen, dass es uns nicht gelungen ist, besonders viele Sympathisanten zu gewinnen. Wiljam war Vorsitzender hier in Västmanland, ich saß im Vorstand und dann haben ein paar von den Jusos mitgearbeitet. Wir haben einige Versammlungen abgehalten, aber mehr war es nicht.«
»Trotzdem durfte Åkesson während des Krieges nach Vietnam reisen?«
»Er saß ja auch im Reichsvorstand des Komitees und gehörte zu einer Delegation. Ich meine mich zu erinnern, dass es 1972 war.«
»Was machte er in der Delegation?«
»Traf vietnamesische Politiker. Reiste im Land herum. Nahm an Mittagessen teil. Eben das, was Freundschaftsdelegationen immer tun. Die Reisen dienten dazu, den Kampf zu unterstützen und persönliche Kontakte herzustellen. Und man wollte sich ein Bild von der Lage verschaffen. Vermutlich hat er danach jedes Mal einen Bericht über seine Erlebnisse verfasst, das gehörte zum Job, sozusagen.«
»Wo finde ich diese Berichte?«
»Ein Exemplar sollte im Staatsarchiv im Rathaus vorhanden sein. Das hat die Verantwortung für die alten Unterlagen des Parteidistrikts. Ich kann dafür sorgen, dass Sie Einsicht bekommen, falls Sie dort suchen möchten. Die Originalberichte sollten in den Akten vom Schwedischen Komitee erhalten sein. Sie werden im Archiv der Arbeiterbewegung in Stockholm aufbewahrt.«
»Hatte er noch einen anderen Auftrag in Vietnam?«
Sixten Eriksson zuckte ein wenig zusammen. Er streckte die Hand nach seiner Zigarettenschachtel aus.
»Rauchen Sie?«
»Nein, danke.«
Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
»Einen anderen Auftrag, was meinen Sie damit?«
»Zum Beispiel, ob er Geschäftsleute vor Ort getroffen hat. Etwas abseits von der Politik. Oder was anderes, irgendwas.«
Sixten nahm noch einen Zug und lehnte sich zurück. Elina sah ihn an. Anscheinend entspannte er sich wieder.
»Das glaube ich nicht«, antwortete er. »Daran habe
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