Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
haben: Sayed wandte sich an Menschenschmuggler, um nach Schweden zu kommen. Jamal sollte ihm das Geld für die Reise vorstrecken. Aber aus irgendeinem Grund verschwand Sayed auf dem Weg. Verunglückte womöglich tödlich. Die Schmuggler, die eine Menge Kosten für Sayed hatten, wollten ihr Geld trotzdem. Jamal weigerte sich zu zahlen. Die Schmuggler schlugen Jamal tot. Annika war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und wurde ebenfalls ermordet.«
»Und Ahmed Qourir? Jamal hatte schließlich bei ihm angerufen. Die Morde hängen also irgendwie zusammen. Welche Rolle spielte er?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nicht einmal eine Vermutung.«
»Hast du dir schon mal überlegt«, fragte Kärnlund, »dass sowohl in Jamals als auch in Qourirs Wohnungen sämtliche Unterlagen fehlten. Das legt nahe, dass Profis am Werk waren. Ich finde, dass das mehr nach Sicherheitsexperten aus dem Nahen Osten als nach stümperhaften Reiseveranstaltern in der Flüchtlingsschmugglerbranche aussieht.«
Elina hatte keine weiteren Argumente. Sie wusste nicht einmal, ob sie ihren eigenen Theorien glaubte. Oder ob sie ihre Motivation nicht einfach nur daraus schöpfte, dass man sie bei der Ermittlung übergangen hatte. Verlangen nach Revanche. Oder etwas noch Einfacheres: Unlust, sich den lächerlichen Anzeigen zu widmen, die auf ihrem Schreibtisch lagen.
»Ich will trotzdem fahren«, sagte sie nach einem langen Schweigen.
»Wiik, das sind wirklich die blödsinnigsten Gründe, die mir je untergekommen sind.«
»Ich bestehe darauf.«
Oskar Kärnlund sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Ich habe weniger als drei Monate bis zur Rente. Willst du, dass ich vorher noch einen Herzinfarkt erleide?«
»Jönsson wird mich niemals fahren lassen. Du kannst das aber veranlassen, und darum muss es jetzt sein.«
Kärnlund legte die Handflächen auf den Tisch. Zeit für Elina aufzubrechen. Sie resignierte. Als sie schon halb auf dem Gang war, hörte sie ihn rufen.
»Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
17. KAPITEL
Es war noch dunkel, als Elina ihr Hotel verließ und auf die Straße trat. Ein älterer Mann mit einer braunen Kunstlederjacke wich ihr auf dem Bürgersteig aus. Eine Straßenbahn fuhr vorbei. Eine blaue Neonreklame spiegelte sich in den regennassen Pflastersteinen. Es roch nach Dieselabgasen.
Sie versuchte, sich auf dem Stadtplan zu orientieren. Die Straße entlang zum Freiheitsdenkmal auf der rechten Seite, daran vorbei und dann nach links, hatte der Hotelportier gesagt.
Es regnete immer noch, und Elina hatte keinen Schirm dabei, aber sie erreichte ihr Ziel, noch bevor sie gänzlich durchnässt war. Dem Text auf dem goldgelben Blechschild am Eingang entnahm sie, dass sie die richtige Adresse gefunden hatte. Imigracijas Policijas Parvalde. Sie vermutete, dass parvalde so etwas wie Büro bedeutete.
Im Entree saß eine alte Frau in Mantel und mit Kopftuch. Sie saß zwischen Treppe und Wand eingeklemmt an einem Tisch. Im Treppenhaus war es feuchtkalt. Elina nahm einen Zettel aus ihrer Tasche und las ihr einen Namen vor. Die Frau antwortete, ohne ihre Augen von ihrer Handarbeit zu nehmen.
»Ich verstehe kein Lettisch«, sagte Elina auf Englisch.
Die Frau deutete mit zwei Fingern die Treppe hinauf.
Bis zum zweiten Stock knarrten die Stufen unter Elinas Schritten. Sie ging auf gut Glück rechts den Gang hinunter und entdeckte den Namen, den sie suchte, auf einem Schild neben einer Tür. Sie klopfte. Ein Mann in einem grauen Anzug öffnete. Elina stellte sich vor. Der Mann küsste die Hand, die sie ihm hinhielt und sagte dann in gebrochenem Englisch:
»Ich bin Kommissar Normunds Kalmanis von der Immigrationspolizei. Willkommen in Riga. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um Ihnen zu helfen. Setzen Sie sich bitte.«
Kommissar Kalmanis stellte Elina einen Stuhl hin. Er ging um seinen Schreibtisch herum, auf dem ein blauweißer Wimpel der Polizei von Helsinki einen Ehrenplatz einnahm. Elina dachte dankbar an John Rosén, der ihr ein Paket Stoffabzeichen der Polizei von Västerås mitgegeben hatte. Kommissar Kalmanis nahm eines dieser Abzeichen dankbar entgegen. Dann lächelte er breit, als Elina ihm außerdem noch eine kleine Flasche Whisky überreichte, die sie im Flugzeug gekauft hatte. Auch dazu hatte Rosén sie aufgefordert, der offenbar wusste, was erwartet wurde.
»Wie gesagt«, sagte Kommissar Kalmanis, »was können wir für Sie tun?«
»Ich suche Informationen über einen Mann palästinensischer Abstammung
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