Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
machte den Fall dann so heikel?«
»Außerordentlich. Da wir den Mörder ohnehin nicht fassen konnten, wurden verschiedene Dinge gegeneinander abgewogen.«
»Alles wurde unter den Teppich gekehrt. Die Akten kamen in einen Pappkarton, und nach außen hin gab man den Palästinensern die Schuld. Eine interne Abmachung.«
»Ja, in etwa. Ich wäre dir dankbar, wenn du den anderen gegenüber Stillschweigen darüber bewahren würdest, was du gerade von mir erfahren hast.«
Elina nickte.
»Dieser Mann«, sagte sie, »also der Mörder, wann kam er nach Schweden?«
»Laut unseren Informationen am 26. September, also zwei Tage vor dem Doppelmord. Warum?«
»Details sind immer wichtig.«
»Du glaubst das alles nicht, oder?«, meinte Axel Bäckman.
»Ich wäre gerne etwas überzeugter.«
Axel Bäckman lehnte sich zurück. Er betrachtete Elina. Sie fühlte sich begutachtet.
»Rosén erwähnte, dass du einen Zusammenhang mit Jamals verschwundenem Cousin vermutest«, meinte er schließlich. »Warum glaubst du, dass sein Verschwinden etwas mit den Morden zu tun haben könnte?«
»Ich fand nur einen Umstand bemerkenswert. Ein Toter und ein Verschwundener in derselben Familie. Danke für dieses Gespräch, Bäckman. Ich muss jetzt wieder an meine Arbeit. Tschüs.«
Elina saß in ihrem Büro. In einer Hand hielt sie den Zettel, den Sergej ihr gegeben hatte. Schiff ab Ventspils, Lettland. In der anderen Hand hatte sie einen Zettel, den sie selbst geschrieben hatte. Der Mörder traf am 26. Sept. ein. Darunter: Axt, entwendet in der Nacht vom 20. auf den 21. Sept.
Sollte sie mit Kärnlund sprechen? Mit Rosén? Was sollte sie ihnen dann sagen? Dass sie glaubte … dass sie vermutete … ja, was eigentlich? In diesem Land gab es eine Unmenge Äxte. Das einzig Neue, was sie herausgefunden hatte, war, dass Jamals Cousin Sayed möglicherweise via Ventspils nach Schweden hatte einreisen wollen. Aber auch das war nebulös. Sie konnte sich nicht einmal sicher sein, dass er wirklich in der Wohnung in Moskau gewohnt hatte. Sie wusste, wie die Reaktion ihrer Kollegen ausfallen würde. Misstrauen, Kopfschütteln. Man würde etwas Konkreteres von ihr verlangen. Außerdem Widerstand: Bäckman schien es nicht zu passen, dass sie seine Lösung, die sogenannte Lösung der Sicherheitspolizei, in Frage stellte.
Außerdem wollte sie nicht damit herausrücken, dass sie in Moskau Polizistin gespielt hatte.
Sie legte die beiden Zettel in die oberste Schreibtischschublade und ging nach Hause.
16. KAPITEL
Elina war erst gegen Morgen eingeschlafen. Sie erwachte davon, dass ihr der kalte Schweiß ausgebrochen war. Die Angst sickerte ihr aus den Poren. Im Traum hatte sie einen Kinderwagen den Oxbacken hinuntergeschoben. Auf halbem Weg war er ihr aus den Händen geglitten. Leute standen ihr im Weg, als sie ihm hinterherrennen wollte. Gerade als der Wagen vor einen blauen Bus rollte, erwachte sie.
Sie gähnte während der gesamten Acht-Uhr-Besprechung. Jönsson hatte den Vorsitz. Als er sie fragte, mit welchem Fall sie gerade befasst sei, konnte sie nichts erwidern. Sie sah ein, dass sie sich zusammenreißen musste.
Sie machte sich wieder an die offenen Fragen. Der Exhibitionist in Vallby. Sie rief die Frau an, die die Anzeige erstattet hatte. Ihre Stimme klang jung. Der Mann hatte auf einer Parkbank gesessen und onaniert. Die Frau glaubte, ihn identifizieren zu können. Sie hatte kein genaues Bild seines Gesichts mehr im Kopf, aber er sei recht klein gewesen. Elina bezweifelte, dass sich der Täter so identifizieren ließ, jedenfalls nicht bei einem Verhör, bei dem sicherlich nicht mit einem außerordentlichen Stehvermögen zu rechnen war.
Sie blätterte in den anderen Anzeigen und schob sie dann beiseite. In der obersten Schublade lagen zwei Zettel, die ihr keine Ruhe ließen.
Ventspils, Lettland. Jemand war dort vielleicht mit Sayed verabredet gewesen. Jemand hatte ihm dort eventuell einen Platz auf einem Schiff nach Schweden verschaffen sollen – die letzte Etappe einer langen Reise. Wahrscheinlich für Geld. Viel Geld. Der Kredit. 70000 Kronen. Jemand wusste womöglich, ob Sayed auf dem Weg von Moskau nach Lettland oder zwischen Lettland und der schwedischen Küste verschwunden war. Es könnte doch sein, dass die lettische Polizei wusste, wer dieser Jemand war?
Das könnte auch früher schon mal passiert sein, dachte sie. Menschenschmuggler mit der festen Route Lettland-Schweden. Vielleicht haben die schwedischen Behörden ja einen
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