Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
Namen.
Elina griff zum Telefon. Eine Nummer mit einer Stockholmer Vorwahl. Sie bat darum, mit dem polizeilichen Nachrichtendienst, Dezernat für illegale Einwanderung, verbunden zu werden. Man stellte sie zum Chef durch. Die Antwort war einfach: Namen von Menschenschmugglern in Ventspils lagen keine vor. Jedenfalls nicht beim polizeilichen Nachrichtendienst.
Sie wählte eine weitere Nummer. Eine etwas träge Stimme:
»Migrationsbehörde, Yngve Carlström.«
»Hier ist Elina Wiik von der Polizei Västerås. Wir haben uns vor ein paar Wochen unterhalten, über …«
»Ich erinnere mich.«
»Ich frage mich, ob Sie mir vielleicht mit einer Auskunft weiterhelfen können? Wenn sie Flüchtlinge vernehmen, kommt es dann vor, dass die ihre Schleuser benennen?«
»Durchaus. Oft wissen sie es allerdings auch nicht oder wollen es nicht sagen. Aber es kommt vor.«
»Kennen Sie den Namen eines Schleusers in Lettland? In Ventspils?«
»Weshalb fragen Sie ausgerechnet mich?«, erwiderte Carlström misstrauisch.
»Weil ich den Eindruck hatte, dass Ihnen Ihre Arbeit wichtig ist. Dass Sie gründlich sind. Ich dachte, dass Sie vielleicht solche Fragen gestellt haben könnten.«
»Warum fragen Sie ausgerechnet nach Ventspils? Hat das mit dem Fall zu tun? Also mit dem, nach dem Sie beim letzten Mal gefragt haben?«
»Möglich. Ich weiß es nicht.«
»Leider kann ich Ihnen nicht helfen. Es kann sein, dass in irgendeiner Akte ein Name steht, ich erinnere mich jedoch nicht.«
»Kommen viele Flüchtlinge via Ventspils nach Schweden?«
»Das kam früher, bis Mitte der Neunziger, häufiger vor. Inzwischen bewachen die Balten ihre Grenzen viel besser.«
»Es ist also schon vorgekommen. Dann müsste die lettische Polizei eigentlich mehr darüber wissen.«
»Das ist naheliegend.«
Elinas Telefon blinkte.
»Ich habe ein Gespräch auf der anderen Leitung«, sagte sie. »Entschuldigen Sie einen Augenblick.«
Sie drückte auf Leitung zwei.
»Sie wollten mit mir sprechen«, sagte eine Frauenstimme. »Über Jamal.«
»Einen Augenblick bitte.«
Sie drückte auf Leitung eins und dankte Yngve Carlström für seine Hilfe. Dann wandte sie sich wieder ihrer Anruferin zu.
»Über Jamal?«, sagte Elina. »Ja, das will ich. Und wer sind Sie?«
»Jamal hat zwei Jahre lang bei uns gewohnt. Ich möchte Ihnen meinen Namen aber nicht sagen.«
Elina schaute auf das Display. Unbekannt.
»Es wäre besser, wenn wir uns treffen könnten«, meinte Elina.
Die Frau zögerte.
»Sie brauchen mir Ihren Namen nicht zu nennen«, meinte Elina. »Es handelt sich auch nicht um eine Vernehmung. Ich würde nur gerne mit Ihnen über Jamal sprechen.«
»Kommen Sie zur Stadtbücherei. Ich erwarte Sie am Eingang.«
Die Frau, die Elina erwartete, hatte kurzes graues Haar und ein faltiges Gesicht. Sie lächelte leicht, als sie Elina die Hand reichte, sagte aber nichts. Elina hatte den Eindruck, es mit einem Menschen zu tun zu haben, der ein ruhiges Leben geführt hatte. Sie wirkte ganz und gar nicht wie die Aktivistin einer Bewegung, die seit Jahrzehnten die Flüchtlingspolitik des Staates herausforderte.
Sie gingen ins oberste Stockwerk. Leise strichen Leute zwischen den Regalen hin und her, meist den Kopf zur Seite gelegt, um den Titel zu finden, den sie suchten. Der Raum und Elinas Anliegen legten ein leises Gespräch nahe. Die Frau nahm jedoch kein Blatt vor den Mund.
»Die Polizei glaubt, dass wir naiv sind und die Einwanderungsfrage beschönigen«, sagte sie, jedoch nicht weiter aggressiv. »Dass wir Idealisten sind, die Flüchtlinge verstecken, weil sie uns leidtun. Aber oft versuchen wir, diejenigen, die abgeschoben werden sollen, dazu zu bewegen, aus freien Stücken nach Hause zu fahren. Erst wenn sie wirklich nicht zurück können, helfen wir ihnen dabei, sich zu verstecken. Dann, wenn die Migrationsbehörde und die Revisionsbehörde ganz einfach einen falschen Beschluss gefasst haben.«
»War das bei Jamal der Fall?«
Die Frau dachte nach.
»Wir fanden, dass er wirklich gute Gründe hatte, in Schweden bleiben zu dürfen. Im Nachhinein bin ich mir jedoch nicht mehr so sicher, ob wir damit Recht hatten.«
»Wie meinen Sie das?«
»Irgendwann stellte sich ja heraus, dass Jamal von den Israelis gesucht wurde. Und zwar zwei Jahre nach seiner Ankunft. Deswegen erhielt er schließlich auch die Aufenthaltsgenehmigung. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass er kein politischer Mensch war. Und seit ich nach dem Mord mit seinem Vater gesprochen habe,
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