Elizabeth - Tochter der Rosen
jedem Schritt, den sein Pferd tat, brannten mehr Tränen in meinen Augen. Dickon heulte, doch Mary und ich wagten nicht, unseren Kummer laut herauszuweinen. Mary war nun acht Jahre alt und ich neun, und wir mussten uns wie Prinzessinnen benehmen. Zeigten wir Gefühle, würden meine Brüder Tom und Dick Grey uns erbarmungslos verspotten – ebenso wie Cecily, die mich ungerührt beobachtete.
Es kam mir seltsam vor, dass meine Mutter allein dastand, um Papa nachzuwinken. Meine Großmutter Jacquetta war bald nach Papas Sieg über den Königsmacher gestorben.
»Wird Papa sterben?«, fragte Cecily mich. »Werden die Franzosen ihn niederschlagen?«
Ich verstand meine jüngste Schwester nicht. Sie besaß ein sicheres Gespür dafür, meine schlimmsten Ängste auszusprechen, und manchmal hatte ich das unheimliche Gefühl, dass sie bestimmte Dinge nur sagte oder tat, um mich zu kränken. Hatte sie die Tränen in meinen Augen gesehen und wollte, dass sie mir über die Wangen liefen? Wortlos kehrte ich ihr den Rücken zu und ging zur Kapelle. Der Sommerwind trug mir die Worte meiner Schwester Mary hinterher:
»Papa ist der größte Krieger der Welt und hat noch nie eine Schlacht verloren. Die Franzosen können ihm nichts anhaben. Das kann keiner.« Mary war mir nicht bloß eine Schwester, sondern auch eine gute Freundin.
Und sie sollte recht behalten. Im September, früher als irgendjemand erwartet hatte, kam Papa zurück und brachte wunderbare Nachricht.
»Meine Damen«, sagte er lachend und verneigte sich übertrieben vor mir und meinen Schwestern sowie vor meiner Mutter, »ich kehre als reicher König heim zu euch, denn ich habe den Krieg gegen Frankreich gewonnen.«
»Reich?«, wiederholte meine Mutter, wobei sie ausnahmsweise lächelte. »Was meinst du mit reich, Edward?«
»Du, Madame – oder vielmehr du und ich werden den Rest unseres Lebens tanzen und in Wohlstand genießen, denn Ludwig hatte solche Angst vor mir, dass er mir eine königliche Summe zahlte, damit ich Frankreich in Frieden lasse und nach England zurückkehre. Eine königliche Summe ...« Er lachte wieder. »Und er wird noch weitere zwanzig Jahre bezahlen.«
»Wie viel, wie viel?«, fragte meine Mutter mit blitzenden Augen.
»Fünfzigtausend Goldkronen jährlich!«
Zunächst wirkte meine Mutter ungläubig und streckte meinem Vater beide Hände entgegen, weil es ihr die Sprache verschlug. Lachend wirbelten sie im Kreis herum, wie Mary und ich es als kleine Kinder getan hatten. Schließlich sank meine Mutter schwindlig und froh auf einen Stuhl und hielt sich die Seiten vor Lachen. Es war verblüffend, sie so zu sehen. Als wäre sie ein junges Mädchen.
»Und was dich betrifft, meine Prinzessin«, sagte Papa, kniete sich halb vor mich und ergriff meine Hände, »dir habe ich das kostbarste Geschenk gebracht.«
Mir flatterte das Herz in der Brust, und ich strahlte ihn an. »Was, Papa? Was kannst du mir bringen, das noch besser ist, als dich wieder bei mir zu haben?«
»Ach, geliebte Tochter, ich bringe dir deine eigene Krone.«
Meine Mutter stieß einen verwunderten Laut aus und stemmte sich von ihrem Stuhl hoch. »Eine eigene Krone? Was soll das bedeuten, Edward?«
»Um meinen Vertrag mit Ludwig zu besiegeln, versprach ich Ludwigs Sohn die Hand unserer Tochter Elizabeth.« Er richtete sich wieder auf. Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne in seinem Wappen. »Ich habe dich mit dem Dauphin Charles verlobt. Du wirst eines Tages die Königin von Frankreich sein.«
Meine Mutter hielt eine Hand auf ihr Herz. »Königin von Frankreich? Ich werde die Mutter der Königin von Frankreich?« Sie sah mich mit blitzenden Augen an. »Dann muss sie Französisch lernen. Und von nun an wird sie nur noch mit Madame la Dauphiness angeredet!«
Ich starrte meine Eltern verwirrt an. »Aber wisst ihr denn nicht mehr, dass ich George Neville, dem Duke of Bedford, versprochen bin?«
Meine Mutter schnaubte verächtlich. »Hat es dir keiner gesagt? Jene Verlobung hätte nie geschlossen werden dürfen. Der junge Neville hat keinerlei Mittel. Wir mussten ihm sogar sein Herzogtum wegnehmen, weil er es nicht unterhalten konnte. Wir können dich unmöglich mit einem Niemand vermählen.«
»Komm, Blossom!«, sagte ich und nahm meine Hündin auf den Arm.
»Ihr Name ist Jolie.«
»Wie bitte?«
»Ich habe sie soeben umbenannt. Es ist das französische Wort für ›hübsch‹.«
Im November 1475 kam Mutter mit einem weiteren Kind nieder, das sie Anne nannte, und
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