Elizabeth - Tochter der Rosen
werden.«
Dorset stand auf, ging zur Tür und seufzte. »Hastings wird niemals eine Absetzung Gloucesters befürworten.«
»Narr!«, schrie meine Mutter, nahm einen Weinkelch von einem kleinen Tisch und schleuderte ihn nach Dorset. Der Kelch verfehlte ihn, schlug gegen die Wand und landete zu Dorsets Füßen. Der hob den Kelch auf, stellte ihn auf den Tisch neben der Tür und verließ den Raum.
»Narr«, wiederholte meine Mutter leiser und drehte sich zu mir. »Wir müssen entschlossen handeln und uns die Macht erhalten, die wir bisher über unseren Einfluss auf deinen Vater ausgeübt haben. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
Ich schwieg.
»Wenn nicht, dann bist du auch schwachsinnig.«
~
In einer eilig einberufenen Ratssitzung, der vor allem Verwandte und Unterstützer meiner Mutter beiwohnten, führte sie ihre Strategie aus.
»Ich verlange die Regentschaft für mich. Als verwitwete Königin steht sie mir rechtmäßig zu«, erklärte sie hoch erhobenenHauptes von der Stirnseite des Tisches aus. In ihrem prächtigen roten Samtkleid mit den Goldsäumen und dem Goldreif im seitlich geflochtenen Haar sah sie majestätisch aus. Es entging niemandem, dass ihre Frisur der von Marguerite d’Anjou glich.
Ich fand es seltsam, dass Mutter ausgerechnet diesen Geist heraufbeschwören wollte, denn es war allgemein bekannt, dass die französische Königin das Land regiert hatte, indem sie den schlichten und kindlich arglosen Henry beeinflusste. Ihr Machtmissbrauch führte zu einer breiten Revolte gegen Henry selbst, in deren Folge mein Vater auf den Thron gelangte. Hatte meine Mutter vergessen, wie Marguerite d’Anjou endete? Krank, verarmt, geschlagen und allein starb sie im Exil, wo sie um ihren kleinen Sohn trauerte – um jenes Kind, das König hätte werden sollen. Aber meine Mutter tat nichts ohne Berechnung, und nun musste sie damit rechnen, dass es vorerst günstig für sie war, die Adligen an Marguerites Macht zu erinnern.
Ein Raunen ging durch den Raum, allerdings konnte ich nicht erkennen, ob es zustimmend oder ablehnend war.
»König Edward war krank und fiebrig, als sein Ende nahte«, schloss meine Mutter. »Er war nicht bei Sinnen, als er den Nachtrag zu seinem Letzten Willen diktierte, dass sein Bruder Gloucester Reichsverweser sein sollte. War es nicht so, Bischof Morton?«, fragte sie süßlich.
»Ich glaube nicht, dass er bei Sinnen war, Euer Gnaden.«
»Erzbischof Rotherham?«
»Ich würde meinen, er war es nicht«, antwortete der Erzbischof, dessen langes, schmales Gesicht noch fuchsähnlicher wirkte als sonst.
»Lord Stanley?«, wandte meine Mutter sich an einen der hinterhältigsten und gerissensten Lords meines Vaters. Stanley hatte sowohl unter dem Lancastrianer- als auch unter dem Yorkisten-König gedient und beide nicht bloß überlebt, sondernwar auch noch von beiden mit reichlich Ehren bedacht worden. Er war verheiratet mit Henry Tudors Mutter, der frommen kleinen Lady Margaret Beaufort. Von ihr erbte Tudor seinen Thronanspruch, denn sie war die Tochter von John Beaufort, dem ersten Duke of Somerset und Enkel von John Gaunt, dem Duke of Lancaster.
»Die Angelegenheit verlangt nach reiflicher Überlegung, weshalb ich mich vorerst nicht für ein Ja oder Nein entscheiden möchte«, antwortete Lord Stanley.
Meine Mutter blickte lächelnd zu Dorset und ihren Brüdern, Sir Edward Woodville und Bischof Lionel, die an derselben Tischseite saßen wie der Rest unserer Woodville-Verwandten und Verbündeten.
»Dann sind wir uns einig, dass Gloucester abgesetzt wird«, sagte meine Mutter entschieden, woraufhin zustimmendes Gemurmel hauptsächlich von ihrer Verwandtschaft ertönte. Sie nahm ein Pergament auf, um ein anderes Thema anzusprechen, als eine Stimme die Stille unterbrach.
»Wir sind uns nicht einig, Madame«, erklärte Hastings. Er erhob sich von seinem Stuhl. »Es war der Wille des Königs, dass Gloucester zum Reichsverweser ernannt wird, nicht Ihr, Madame. Ihr Name steht nicht einmal auf der Liste der Testamentsvollstrecker, und das zweifellos aus genau diesem Grunde. König Edward fürchtete, dass Ihr versuchen würdet, die Macht an Euch zu reißen.«
»Lord Hastings, Sie irren, und Sie sind hier in der Minderheit.« Meine Mutter war aufgebracht, und ihre Augen sprühten Funken. »Bitte setzen Sie sich.« Ein eisiges Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie ignorierte Hastings und wandte sich dem nächsten Anliegen zu. »Wir müssen sofort nach meinem Sohn, König Edward, schicken.
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