Elke im Seewind
Danach setzt er die Nickelbrille auf und mustert die Kinder eingehend. Er sagt: „Ich bin nämlich nicht dafür, mir die Leute nicht gleich von Anfang an ordentlich anzusehen. Das ist nämlich nicht ratsam.”
Seine flinken Augen sind an Katje hängengeblieben, und er fährt fort: „Das hier ist eine ganze Träumerin, Bücher, Bücher und wieder Bücher. In der Schule, da hält sie sich ran. Wenn der Ehrgeiz noch nicht erfunden wäre — aber nicht zu toll treiben — vergiß das nicht!”
Schon sind die flinken, blaßblauen Augen zu Ruth hinübergewechselt. Der Alte nickt und sagt: „Ja, ja, laß nur — es ist nämlich ganz gut, wenn man es in der Jugend nicht leicht hat. Vater verdient wenig, ‘n Haufen Kinder, Mutter viel krank. So war’s bei uns zu Hause auch. Da lernt man früh, die Zähne zusammenbeißen — was nämlich die Hauptsache im Leben ist.“
„Und was dieses Fräulein“, so fährt er, Lotti anblickend, fort, „nämlich noch gar nicht weiß. Ja, ja mien Deern, brauchst nichts abzustreiten, das nützt dir nämlich gar nichts. Dir fehlen bloß die zwei Hörner, mit denen du durch die Wand möchtest. Aber mit den Ellenbogen geht es auch ganz gut, hast du schon festgestellt. Na, bist ja noch jung — kannst noch werden.“
Lotti läuft rot an vor Ärger, und Frau Brunkhorst bedauert bei sich, daß sie die Kinder überhaupt mitgenommen hat. Sie hat doch gewußt, daß der Alte oftmals ganz ohne Rücksicht ausspricht, was er gerade denkt. Sie mahnt deshalb jetzt zur Eile und hat schon die Klinke in der Hand. Elke ist es ganz recht, daß sie gehen wollen. Wer weiß, was „Vater Nämlich — nicht“, wie sie ihn bei sich bereits getauft hat, an ihr alles auszusetzen findet. Aber der alte Mann hält Elkes Hand fest, als sie sich verabschieden will. „Mir kann einer nämlich nicht so leicht was vormachen“, sagt er und blickt Elke mit scharf zusammengezogenen Brauen an. Das Mädel lächelt ängstlich verlegen. Aber er fährt fort: „Bist in Ordnung, kannst so bleiben — du lachst gern, aber du weißt trotzdem, was du willst.“ Er nickt beifällig, und Elke antwortet keck: „Danke schön — ich hätte mich nämlich nicht gefreut, wenn Sie gemerkt hätten, was ich alles schon ausgefressen hab’.”
Als sie draußen auf der Dorfstraße sind, hat Lotti ihren Ärger schon halb verwunden. „Ich laß mir ja auch nichts gefallen“, sagt sie. „Da hat er ja ganz recht. Ein Waschlappen bin ich nicht.“
Die Oma Brunkhorst ist froh, daß Lotti sich nicht nachhaltig gekränkt fühlt, denn das Mädel hat ihr zum vergangenen Sonntag einen Primeltopf geschenkt, und das war doch sehr nett von ihr.
Aber kurze Zeit darauf, als die vier auf dem Wege zum Weststrand sind und dabei einmal einen neuen Weg ausprobieren wollen, erweist es sich, daß Lotti doch einen rechten Stachel in sich fühlt. Als Elke nämlich sagt, daß sie nicht drüben bei dem Abhang mit den Dünen Vorbeigehen dürfen, sondern sich mehr links halten müssen, wirft Lotti ihr vor, daß sie immer alles besser wissen will. „Wenn hier schon einer immer mit dem Kopf durch die Wand will, dann bist du es und nicht ich“, sagt sie zu Elke.
„Wieso? Wenn ich es wirklich besser weiß, dann kann ich es doch wohl sagen“, widerspricht Elke.
Katje steht ihr bei. „Das muß man auch, Lotti“, sagt sie.
„Der alte Dubbelkorn oder wie er heißt, ist ein ganz dummer Kerl!“ läßt Lotti ihrer schlechten Laune weiter freien Lauf. „Er hätte zu Elke lieber sagen sollen, daß sie immer die Hauptperson bei allem sein will.“
„Ich will die Hauptperson sein? Du bist verrückt“, erwidert Elke grob. „Außerdem weiß ich, worüber du dich ärgerst: Weil Piet will, daß ich die Frau von Robinson sein soll, wenn er Robinson ist.“
Katje schweigt. Es stimmt schon, was Lotti gesagt hat, denkt sie. Elke ist wirklich fast immer die Hauptperson. Aber das kommt ganz von selbst, sie drängt sich nicht vor. Elke hat eben so ein Wesen, daß alle sie gern leiden mögen, und sie denkt sich auch immer alles mögliche Schöne aus. Zum Beispiel jetzt das mit dem Robinson. Zuerst haben alle sie ausgelacht, sie selber ja auch. Aber die Jungens waren gleich ganz begeistert., und es ist gar kein Wunder, daß sie wollen, Elke soll Robinsons Frau sein.
Lotti ist weiter bockig. Sie besteht darauf, daß die Richtung, die sie durch die Dünen einschlagen will, die richtige ist. Sie erklärt rundheraus, daß sie dann eben allein ginge, wenn die anderen nicht
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