Elli gibt den Loeffel ab
die zur Casa Bella hinaufführten, und konnte nicht anders, als sich die quälende
Frage zu stellen, ob alles umsonst gewesen war. Die Fahrt nach Capri, das Geld, das sie in die Reise investiert hatte, die Anstrengungen, um an das Erbe von Alessandro heranzukommen — nichts als ein Traum? Auf alle Fälle nahm sie sich vor, mit Roberto offen darüber zu reden. Er hatte es nicht verdient, Doro ins offene Messer zu laufen. Einen Halsabschneider, wie Heinz ihn bezeichnet hatte, konnte sie in dem smarten Italiener beim besten Willen nicht sehen.
Gut möglich, dass das Grundstück sehr viel mehr wert war, als er ihnen angeboten hatte. Den Recherchen von Heinz konnte sie sicherlich vertrauen, aber war Roberto deshalb gleich ein Betrüger? Was waren solche Schätzungen schon wert? Die Immobilienpreise hingen von Angebot und Nachfrage ab. Oft musste man jahrelang warten, um eine teure Immobilie verkaufen zu können, doch sie brauchten das Geld jetzt. Vielleicht wäre ja irgendein russischer Millionär oder ein Scheich bereit, eine Million Euro für das Grundstück hinzublättern, aber wäre so ein Käufer auf Capri überhaupt erwünscht?
Capri den Italienern. Daran hatte sich seit den sechziger Jahren nicht allzu viel geändert. Und wer von den Einheimischen konnte schon eine halbe Million lockermachen? Wie sie das Blatt auch drehte und wendete, sie vermochte in Roberto keinen Halsabschneider zu sehen. Dafür hatte er sich viel zu sehr um sie und Doro bemüht. Hätte er sich sonst heute mit ihr verabredet? Ihre Schwester hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie für ihr Erbe kämpfen würde. Das war ihre Sache! So, wie sie Doro einschätzte, würde sie Roberto morgen mit Vergnügen den Brief unter die Nase halten und ihm klarmachen, dass er so billig nicht davonkäme.
Schäbig! Das Verhalten ihrer Schwester war mehr als schäbig. Obwohl — hätte sie an Doros Stelle nicht genauso gehandelt? Wie Roberto wohl reagierte? Es war inzwischen fünf vor halb zehn. Die Ablenkung in dem capresischen Nachtclub würde ihr nun sicher guttun. Einfach mal abschalten. Dort konnte sie das Erbe vergessen, ebenso ihre Großmutter, Alessandro, Dorothea — ihre Halbschwester — Heinz und Oskar. Ob Heinz inzwischen abgereist war? Einfach nicht daran denken! Es war klar, dass sie getrennte Wege gehen würden. Abschalten!
Hoffentlich deckte das Make-up die Tränen, die sie nach dem Gespräch mit Doro nicht länger hatte zurückhalten können, einigermaßen ab. Nach Singen und Tanzen war ihr nun wirklich nicht mehr zumute, aber die letzten Tage waren so verrückt gewesen, dass sie nichts Besseres tun konnte, als sich mit Gewalt abzulenken. Roberto hätte längst da sein müssen. Hatte Doro am Ende schon mit ihm telefoniert und ihm klargemacht, dass die Karten neu gemischt werden mussten? Wo blieb er nur?
Die Minuten vergingen. Noch ein Blick auf die Uhr. Kein Scheinwerfer, der den Weg über den Serpentinen hinauf zur Casa Bella kroch. Inzwischen war es Viertel nach. Roberto war mit Sicherheit kein unpünktlicher Mensch. Hatte er etwa das Interesse an ihr verloren, weil er genau wusste, dass er nur noch über ihre Schwester an die Immobilie herankam? Nun war sie den Spazierweg entlang der Limonenplantage bestimmt schon fünfmal auf und ab gelaufen. Zwanzig nach. Abends gab es auf Capri doch keinen Stau. Zehn Uhr! Nein! Er würde nicht mehr kommen. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass Roberto kein Interesse mehr an ihr hatte. Doro hielt nun alle Asse in der Hand.
Mit Sicherheit wusste er Bescheid! Was für eine Farce! Sich extra umzuziehen, sich hübsch zu machen, all die Gedanken um die missliche Affäre ihrer Mutter zu verdrängen und sich der Hoffnung hinzugeben, sich für einige Stunden wieder auf die Achterbahn der Gefühle zu wagen, die sie in den letzten Tagen bereits auf Trab gehalten hatte — umsonst. Hatte Heinz am Ende doch recht, und Roberto war ein skrupelloser Halsabschneider, der sie nur instrumentalisiert hatte? Zehn nach! Allein vor einer romantischen Pension, die im Licht des Vollmondes in eine eigenartige Starre verfiel. Das letzte Licht in einem der oberen Fenster ging aus. Allem im Mondlicht. Vergessen und vermutlich auch noch verraten! Verfluchtes Capri!
Wie still es doch im Haus war. Elli hörte nur das Knarzen des Holzstuhles, auf dem sie am geöffneten Fenster saß und in die Nacht hinausstarrte. Doro war heute bestimmt friedlich und mit Vorfreude auf den morgigen Tag
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