Elli gibt den Loeffel ab
von ihrem Pech.
»Wir wollten dich nicht wecken. Du hast geschlafen wie ein Murmeltier«, sagte Anja.
Elli war von dem Duft, den die Pfanne verströmte, sehr angetan. Tief inhalierte sie das würzige Bouquet ihrer Kochkunst. Was für ein Kompliment. Anja kam sich nun noch schäbiger vor, weil sie ausgerechnet ihrer Mutter in einem Anfall von Zorn und Rachegelüsten den entscheidenden Brief zugespielt hatte. Judas! Immerhin hatte das Schicksal sie bereits mit einer gerechten Strafe bedacht. Auch sie musste bluten. Geplatzt war der Traum vom kleinen Restaurant auf dem idyllischen Hügel mitten auf Capri. Ihre Mutter würde ihr vermutlich ein bisschen Geld zustecken, wie immer. Vielleicht konnte Anja sie wenigstens dazu überreden, Tante Elli ebenfalls etwas davon abzugeben. Immerhin war sie ihre Schwester.
»Ich glaube, ich habe mich heute selbst übertroffen«, schwärmte sie verlegen. Hauptsache, sie ließ sich nichts anmerken. »Ich wünsche einen guten Appetit.«
Ihre Mutter war bestens gelaunt, und auch Tante Elli lobte ihre Kochkunst, kaum dass sie den ersten Bissen probiert hatte.
»Mmmm. Anja, du kochst einfach... göttlich.«
Vermutlich war dies das letzte Abendmahl.
»Hat dir Roberto noch ein bisschen was von der Stadt gezeigt?«, wandte sich ihre Mutter nun an Elli, die sich ganz und gar den kulinarischen Genüssen hingab.
»Wir waren in einer Bar. Er holt mich nachher ab, um mir das Nachtleben auf Capri zu zeigen.«
Täuschte sie sich, oder hatte ihre Mutter plötzlich ein diabolisch anmutendes Grinsen im Gesicht? Schmeckte ihr das Essen etwa deshalb so gut, weil sie wusste, dass es zum Dessert etwas gab, was ihrer Schwester mit Sicherheit ganz und gar nicht schmecken würde? Kaum hatten Elli, ihre Mutter und Fabrizio die Creme brulée verzehrt, fiel der entscheidende Satz aus dem Mund ihrer Mutter: »Elli, ich müsste dich mal kurz sprechen.«
Irgendetwas war faul gewesen an diesem Abendessen. Das hatte Elli sofort gespürt, als sie sich nach unten begeben hatte. Viel zu harmonisch hatten sie alle miteinander am Tisch gesessen. Und dann der viele Smalltalk, den ihre Schwester an sich nicht sehr schätzte.
Schon der kurze, wortlose Marsch mit Doro auf dem Trampelpfad von der Pension hinüber zu den Zitronenbäumen, die der aufgehende Mond in ein fahles Licht tauchte, versprach nichts Gutes. Vielleicht dachte sie aber auch einfach zu negativ. Vielleicht wollte ihre Schwester sich ja auch nur für ihr unmögliches Verhalten bei dem Ausflug mit Roberto entschuldigen.
»Elli, es gibt da einen Brief von unserer Mutter.«
Doro spie endlich aus, warum sie Elli allein hatte sprechen wollen, und war sichtlich ergriffen. Es ging also um die Vergangenheit, und beim Anblick von Doros nachdenklichem Gesichtsausdruck erwartete sie nichts Positives.
»Woher hast du ihn? Du bist doch alle Briefe durchgegangen?«, fragte sie.
»Anja hatte ihn versteckt. Sie war wohl ziemlich sauer auf mich wegen ihrer Idee mit der Pension. Jetzt will sie nur noch weg von Capri.«
»Warum das denn? Was ist mit ihrem Paolo?« Elli verstand die Welt nicht mehr.
»Auf den ist sie ebenfalls sauer. Wie es aussieht, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Er ist anscheinend bereits liiert und hat Anja genauso benutzt, wie Roberto dich benutzt hat.«
Nichts gegen Anjas Kochkünste, aber es kam Elli gerade so vor, als würden die Shrimps in ihrer Speiseröhre nach oben robben und versuchen, sich einen Weg ins Freie zu bahnen.
»Ich bin Alessandros alleinige Tochter. Das geht eindeutig aus der Korrespondenz hervor.«
Elli wurde schlecht. Der leichte Knoblauchgeschmack, der eben noch das Essen auf angenehme Art und Weise abgerundet hatte, stieß ihr plötzlich auf. Aus dem leichten Gericht wurden Steine in ihrem Magen, der nervös und unversöhnlich vor sich hin zuckte und eigenständig zu pochen begann.
»Mama hat es Charlotte gebeichtet.«
»Bist du dir sicher?« Elli merkte, dass ihr die Stimme zu versagen drohte.
»Du kannst den Brief gerne lesen.«
Wenn sie Doro eines zugutehalten musste, dann war es der Umstand, dass ihre Schwester sie noch nie belogen hatte. Die Lektüre dieses Briefes konnte sie sich daher sparen.
»Was ist passiert?«, fragte sie fassungslos.
»Mama hatte wahnsinnige Angst, dass ihr Verhältnis auffliegt, deshalb hat sie Charlotte um Rat gebeten. Sie hat in dem Brief im Grunde bestätigt, was Fabrizio von seinem Vater erfahren hat. Papa war krank und hat deshalb nicht mit ihr geschlafen. Sie war sich
Weitere Kostenlose Bücher