Elli gibt den Loeffel ab
war nun schon seit einer Stunde in der Obhut der Ärzte. Niemand war bereit gewesen, ihr zu sagen, wie es Anja ging, noch nicht einmal die Krankenschwester, die ihre Tochter aufgenommen hatte. Roberto und sie wussten also nur, dass Anja noch lebte. Er war so durcheinander, dass er unentwegt den Gang auf und ab ging und sich mindestens schon fünf Kaffees aus der Maschine am Ende des Ganges gezogen hatte.
Er ging ihr seit Anjas Einlieferung aus dem Weg. Aus Höflichkeit oder aus purem schlechten Gewissen?, überlegte sie. Vielleicht hatte er auch nur Angst, weil er zu schnell gefahren war, wie er ihr gegenüber sofort zugegeben hatte. Dorothea war dankbar dafür, dass er sie alleine ließ. Zu viele Gedanken mussten sortiert werden. Es hatte sehr, sehr gut getan, mit Elli über ihre Tochter zu sprechen. Die Hand ihrer Schwester hatte ihr Kraft gegeben, ihre tröstenden Worte hatten ihr innere Ruhe beschert. Sie hätte es schon viel früher tun müssen. Letztlich war Elli der einzige Mensch, dem sie sich hatte anvertrauen können. All die Jahre auf eine Schwester wie Elli zu verzichten, nur weil sie ihr Josef weggenommen hatte, erschien ihr in diesem Augenblick völlig absurd. Es war viel einfacher, einem anderen die Schuld zu geben. Elli trug jedoch keine Schuld daran, dass sie mit Werner einen schweren Fehlgriff getätigt hatte. Ihre Verbitterung war einzig und allein ihr Ding, und wenn Anjas Unfall zu etwas gut war, dann für diese Erkenntnis.
Endlich! Der Arzt.
»Frau Menning?«
Dorothea nickte brav und sprang sofort von dem unbequemen Plastikstuhl auf.
»Ich kann Sie beruhigen. Ihre Tochter ist wieder zu sich gekommen. Sie hatte wohl einen Schutzengel. Leichte Schrammen, keine Knochenbrüche, keine inneren Blutungen, allerdings eine Gehirnerschütterung. Sie braucht jetzt dringend Ruhe.«
Roberto stand plötzlich neben ihr und wirkte unendlich erleichtert.
»Darf ich zu ihr?«, fragte Dorothea den Arzt.
»Natürlich, aber sie hat nach Paolo verlangt. Ist das ihr Freund?«
»Ich hole ihn.« Roberto eilte sofort nach draußen.
Anja wollte ihre eigene Mutter also nicht sehen. Dorothea konnte es ihr noch nicht einmal verübeln.
Mit ansehen zu müssen, dass Paolo wie ein Hund litt, machte Elli klar, dass er Anja wirklich von ganzem Herzen liebte. Er war bleich wie die Wand und mindestens so zappelig wie Oskar. Nervös schlenderte er den kleinen Spazierweg entlang, der einmal um die Klinik führte. Seine Wut auf Doro schien zunächst grenzenlos. Als er von ihr erfahren hatte, warum Anja die Straße heruntergelaufen war, brachte er keinen Ton mehr heraus. Dass Paolo ihre Schwester verachtete, konnte sie ihm nicht verübeln, aber nachdem er mit Anja zusammenbleiben würde, hatte sie ihm zu erklären versucht, warum Doro ihrer Tochter gegenüber über all die Jahre so ablehnend und fast eine Spur kalt gewesen war. Erstaunlicherweise schien er die Beweggründe zu verstehen, auch wenn er das Verhalten ihrer Schwester nach wie vor verurteilte.
»Da haben Anja und ich etwas gemeinsam«, gestand er ihr auf halbem Weg.
Elli erfuhr von dem schlechten Verhältnis zu seinem
Vater, das sich nach dem Tod seiner Mutter zugespitzt hatte. Auch Roberto tat es sehr leid, was er da angerichtet hatte. Warum muss immer erst etwas Schlimmes passieren, um die Menschen wachzurütteln?, fragte sie sich. Die Kinder mussten für das büßen, was ihren Eltern widerfahren war. Elli hoffte inständig, dass sowohl Roberto als auch Dorothea nachhaltig etwas an ihrem Verhalten änderten. Im Falle ihrer Schwester konnte dies konsequenterweise heißen, dass sie vom Verkauf der Casa Bella Abstand nahm. Dies ginge natürlich nur, wenn sie ebenfalls auf das Geld verzichtete. Immerhin waren sie beide nun gleichrangig erbberechtigt. Falls Paolos Vater wirklich so gute Kontakte hatte, könnte die Anerkennung des Erbes von Seiten der Behörden viel schneller vonstattengehen.
»Ich habe mich entschieden«, sagte sie zu Paolo. »Ich wäre mit einer Pacht einverstanden. Irgendwie werde ich mich schon durchschlagen, auch ohne das Geld.«
»Du würdest auf deinen Anteil verzichten?« Paolo war fassungslos.
»Ich bringe es einfach nicht übers Herz, Anjas Traum zu zerstören. Außerdem... ich glaube, dass es funktionieren könnte. Jetzt musst du nur noch deinen Vater überzeugen.«
»Vielleicht ist das gar nicht mehr notwendig. Er könnte die Villa trotzdem kaufen und statt seiner eigenen ausnahmsweise mal meine Pläne in die Tat umsetzen.«
An
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