Elli gibt den Loeffel ab
so vieles verzichtet. Es tut mir leid. Ich weiß, das klingt schrecklich, aber ich möchte wenigstens ein paar Jahre lang leben, verstehst du?«
»Bis jetzt hast du also nicht gelebt?« Anja war fassungslos. »Du hast einen super Job, du kannst kreativ arbeiten. Was willst du denn noch?«
Für einen Moment sah ihre Mutter tatsächlich aus, als würde sie sich die Worte zu Herzen nehmen. Ihr war der innere Kampf anzumerken, aber kein Wort von dem, was sie wirklich beschäftigte, ließ sie nach außen.
»Mama, du hast Erfolg mit dem, was du tust. Du kommst an interessante Menschen heran. Andere würden dich darum beneiden.«
»Ach ja? Meinst du denn, es macht Spaß, sich zu überlegen, wie ein Dieter Bohlen tickt? Ob er die Leute nur für blöd verkauft oder irgendwelchen grenzdebilen Jugendlichen zumindest einen Hauch von Selbstdisziplin beibringt? Was interessiert mich dieser Mann? Also komm mir bitte nicht mit dem Argument, ich hätte einen super Job. Er hängt mir zum Hals raus.«
Anja brauchte einen Moment, um die Neuigkeit zu verdauen. Zum ersten Mal hatte ihre Mutter mit ihr über Details ihrer Arbeit gesprochen.
»Wenn das alles so furchtbar ist, warum wolltest du dann, dass ich Journalistik studiere? Warum warst du damals so sauer, dass ich mich für ein anderes Leben entschieden habe?«
Ihre Mutter zuckte zunächst nur mit den Schultern. »Früher... der Beruf hat mir mal großen Spaß gemacht.
Du kommst als Journalistin ja wirklich überall rein, aber nach kurzer Zeit bemerkst du, wie verlogen und lächerlich die Gesellschaft ist. Du verkaufst nur noch irgendwelche Geschichten...«
»Mama, warum wirfst du mir dann vor, dass ich eine Ausbildung zur Köchin gemacht habe? Ich könnte mit Paolos Hilfe diese Pension zu neuem Leben erwecken.«
»Anja, eine Pension hier auf Capri... Ich müsste dann auf das Geld aus der Erbschaft verzichten. Was ich mal an Rente bekomme, kann ich vergessen. Außerdem profitierst auch du finanziell davon, oder glaubst du, ich würde alles für mich behalten? Wofür das alles aufgeben? Für einen Traum? Wie viele Deutsche sind ausgewandert, weil sie im Ausland eine Kneipe eröffnen wollten? Sie sind fast alle auf die Schnauze gefallen. Jetzt fängst du auch noch damit an.«
»Das kann man doch gar nicht vergleichen. Mama, ich hab eine verdammt gute Ausbildung, und Paolo hat ein Touristikstudium absolviert. Er war in den besten Hotels der Welt«, versuchte Anja dagegenzuhalten. Wie konnte ihre Mutter nur so verbohrt sein?
»Dann soll er eben mit seinem Vater reden. Wenn Roberto die Pension kauft, kann er damit machen, was er will.«
»Das geht nicht. Paolo und sein Vater haben sich gestritten. Roberto spielt da nie im Leben mit.«
Anja spürte den wachsenden inneren Druck, mit dem ihre Mutter zu kämpfen hatte. Trotzdem keinerlei Einlenken. Robertos Zerwürfnis mit seinem Vater schien sie nicht zu ihrem Problem machen zu wollen. Wie enttäuschend.
»Wenn du Geld brauchst, ist das kein Thema, aber bitte zwing mich nicht, auf die Erbschaft zu verzichten.«
Das waren klare Worte! Es tat verdammt weh, einen Traum endgültig begraben zu müssen. So sehr Anja sich auch bemühte, die Tränen der Verzweiflung zu unterdrücken — keine Chance. Sie flössen, ausgerechnet vor ihrer Mutter.
»Anja, so versteh doch.«
Auch wenn es ihr sichtbar leidtat — nichts wie raus hier!
Den Anblick ihrer Mutter, die immer nur nach ihren Prinzipien der Vernunft agierte, konnte sie nicht mehr ertragen. Anja stürmte hinaus und rannte den Gang entlang, vorbei an ihrem Zimmer, in dem Paolo auf sie wartete. Doch selbst mit ihm konnte sie jetzt nicht sprechen. Sie wollte nur noch weg. Sie nahm gleich zwei Treppenstufen auf einmal. Hinaus in die Nacht.
»Anja?« Paolo rief nach ihr.
Nur noch laufen. Anja wischte sich noch nicht einmal mehr die Tränen aus dem Gesicht.
Vollgas! Jetzt reichte es aber! Paolo war immerhin sein Sohn. Nun verbündete er sich ausgerechnet mit Eleonore und Dorothea, die ihn eine halbe Million kosteten. Blut war nun mal stärker als irgendeine Liebelei, auf die sich Paolo eingelassen hatte. Darauf baute er.
Dass sein Sohn für ihn seit über vierundzwanzig Stunden unerreichbar war und obendrein verschwiegen hatte, wo er sich aufhielt, machte Roberto dermaßen wütend, das er das Gaspedal noch mehr durchdrückte. Mit Schwung fuhr er in die nächste Kurve, in Richtung der Serpentinenstraße zur Casa Bella. Er freute sich schon darauf, Paolo zur Rede zu stellen.
Dann
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