Elli gibt den Loeffel ab
unter Kontrolle. Wenn ich deine Wünsche, dein Leben und Anja einfach akzeptiert hätte, anstatt immer nur meinen Willen durchzusetzen, der Unfall wäre nie passiert.«
Paolo sah seinem Vater in die Augen. Er war wirklich am Boden und meinte tatsächlich, was er da sagte. Noch nie hatte er ihm gegenüber einen Fehler zugegeben, geschweige denn von Schuld gesprochen.
»Paolo, es tut mir leid. Ich habe schon deine Mutter verloren, aus dem gleichen Grund... Ich möchte nicht auch noch dich verlieren. Bitte versuch mir irgendwann zu verzeihen.«
Paolo wühlten die Worte seines Vaters auf. Zur Wut auf seinen Vater und zur Sorge um Anja gesellte sich jetzt auch noch Mitleid. Paolo war unfähig, irgendetwas zu erwidern, gab ihm jedoch mit einem Nicken zu verstehen, dass die Botschaft bei ihm angekommen war, bevor er im Klinikgebäude verschwand.
Elli konnte immer noch nicht so recht glauben, was passiert war. Was für eine Aufregung! Paolos Nachricht, dass ausgerechnet sein Vater Anja angefahren hatte und sie jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus waren, hatte ihre Schwester sichtlich erschüttert. Wie ein Häuflein Elend saß Doro neben ihr auf der Rückbank von Fabrizios Panda, der sie trotz des feuchtfröhlichen Abends schnell in die Stadt fuhr.
»Vielleicht war der Unfall gar nicht so schlimm«, versuchte Elli ihre Schwester zu trösten.
Doro nickte nur und starrte mit traurigem Blick aus dem Fenster in die Dunkelheit.
»Es ist alles meine Schuld«, wimmerte sie völlig zusammengesunken.
Darauf ließ sich nichts erwidern, denn natürlich hatte sie mit zu verantworten, dass Anja davongelaufen war. Aber Doro in dieser schwierigen Stunde hängen zu lassen, kam für Elli überhaupt nicht in Frage.
»Doro, es war ein tragischer Unfall.«
Ihre Schwester schüttelte nur den Kopf. »Ich hab bei Anja einfach alles falsch gemacht«, brach es aus ihr heraus. Sie war offenbar so verzweifelt, dass sie den Kopf auf die Hände stützen musste. »Einfach alles! Wenn Anja stirbt... Ich... Es tut mir so leid«, schluchzte sie.
Elli tat ihre Schwester furchtbar leid, und auch Fabrizio warf vom Steuer des Wagens einen besorgten Blick nach hinten. Tröstend nahm sie Doro in die Arme. Ein ziemlich ungewohntes Gefühl der Nähe. Fremd und dennoch vertraut. Elli führ ihr durchs Haar. Ihre Schwester schien sich zu beruhigen, wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Wieso meinst du, dass du alles falsch gemacht hast?«, fragte sie, als Doro sich wieder gefangen hatte und sich aufsetzte.
Ihre Schwester holte tief Luft und sah sie mit ernstem Blick an. »Als Anja zur Welt gekommen ist... Ich hatte damals das Gefühl, dass mein Leben ab diesem Moment vorbei sei, und letztlich war es ja auch so. Werner hat mich verlassen, und ich musste beruflich kürzertreten. Hab ich dir jemals erzählt, dass ich ein Jahr vor Anjas Geburt das
Angebot bekommen habe, in New York als Auslandskorrespondentin zu arbeiten?«
Elli schüttelte den Kopf. Das war ihr in der Tat neu.
»Werner und ich, wir wollten nie Kinder. Wir wollten leben, etwas von der Welt sehen. Und dann war auf einen Schlag alles vorbei. Ich hab die letzten fünfundzwanzig Jahre meines Lebens damit verbracht, irgendwelche dämlichen Kolumnen zu schreiben.«
Doro schien das Ganze so aufzuwühlen, dass sie schon wieder feuchte Augen bekam.
»Ich hab Anja die Schuld daran gegeben, einfach an allem, verstehst du...«
Dies erklärte allerdings einiges. Doros ewige Nörgelei an ihrer Tochter, ihre Streitereien und wie schlecht sie immer über Anja geredet hatte.
»Jetzt hatte ich endlich die Chance, auch mal Glück im Leben zu haben, aber ich habe nur mein Glück gesehen«, sagte Doro bitter.
Ganz schön harte Brocken, die es da zu verdauen galt. Wieso hatte ihre Schwester nur nie früher mit ihr darüber gesprochen? Anja war ein ungewolltes Kind? Warum bloß hatten sie sich aus den Augen verloren? Dabei sollten Schwestern füreinander da sein. Auf alle Fälle beschloss Elli, jetzt für Doro da zu sein. Sie reichte ihrer Schwester die Hand, und Doro umklammerte sie dankbar. Ein schönes Gefühl.
Auf Ärzte zu warten hatte die Eigenart, dass Sekunden förmlich zu Stunden werden konnten, vor allem wenn man auf steinharten Plastikstühlen sitzen musste, die einem schon nach wenigen Minuten ein taubes Gesäß bescherten.
Dorothea fragte sich, warum sie Elli und Paolo nicht auf ihrem Spaziergang durch den Klinikgarten begleitet hatte. Hier nutzlos herumzusitzen brachte sowieso nichts. Anja
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