Elli gibt den Loeffel ab
Lippen wie Gina Lollobrigida. Sie lacht, ist glücklich. Der Mann fährt mir durchs Haar. Seine Hand ist zärtlich. Er reicht mir ein Eis. Erdbeere und Nuss. Der Mann und meine Mutter gehen Hand in Hand zum Wasser. Ich drehe mich nach den beiden um. Dabei rutscht mir das Eis von der Waffel, fällt in den Sand. Ich will es auf heben, doch Doro stampft es mit dem Fuß noch tiefer hinein. Sie lacht mich aus. Ich will nach meiner Mutter rufen, aber sie ist verschwunden, mit dem Mann.
Kapitel 9
Das einzig Schöne an diesem Raum waren der bis an die Decke sprießende Ficus benjamini und das verlockende Stück Käsekuchen, das nur darauf wartete, von Frau Krüger verspeist zu werden. Als Anja die für sie zuständige Sachbearbeiterin betrachtete, die sich wie ein Chamäleon Ton in Ton in ihr fahlgrau eingerichtetes Büro integrierte, stellte sie fest, dass selbst deren ergrautes Haar perfekt zur grauweiß gesprenkelten Arbeitsplatte des Schreibtisches passte. Tagein, tagaus in einem solchen Büro zu sitzen und die trockene Luft aus den leise surrenden Klimaanlagen einzuatmen, anstatt sich mit den verlockenden Düften zu umgeben, die eine gute Küche zu bieten hatte, würde sie auf Dauer umbringen.
»Frau Menning, Sie scheinen sich über den Ernst der Lage nicht ganz im Klaren zu sein«, drohte Frau Krüger und blätterte dabei geschäftig in der Akte, die vor ihr auf dem Tisch lag. »Sie sind jetzt schon zweimal nicht zum vereinbarten Vorstellungsgespräch erschienen«, fuhr sie mit monotoner Stimme fort.
»Da war ich krank. Migräne.« Anja war klar, dass sie dafür bestenfalls ein mitleidiges Lächeln ernten würde, und prompt musste sie es über sich ergehen lassen.
»Zumindest die Putzstelle hätten sie annehmen können. Zehn Euro die Stunde ist schließlich nicht schlecht.«
»Ich habe eine Putzmittelallergie«, versuchte sie sich zu rechtfertigen und fuhr mit den Händen durch ihr schulterlanges Haar, als ob diese Geste eine Allergie untermauern würde.
»Für die mir bis heute noch kein Attest vorliegt.«
»Sie bekommen es«, versprach Anja ihr und fragte sich bereits, welche Symptome sie sich wohl ausdenken musste, um ihren Hausarzt zu überzeugen.
»Hören Sie. Eigentlich müsste ich Ihnen jetzt die Bezüge kürzen. Das wollen Sie doch sicher nicht, oder?«
Anja schüttelte den Kopf wie ein kleines Mädchen, dem gerade ein Schulverweis angedroht worden war. Die Mitleidsmasche konnte sie ja mal probieren.
»Warum machen Sie keine Umschulung? Sie haben eine sehr angenehme Stimme. Ich könnte Sie mir gut in einem Callcenter vorstellen«, sagte Frau Krüger, nun wieder freundlich.
Callcenter! Sollte sie sich etwa den ganzen Tag mit irgendwelchen unzufriedenen Kunden herumschlagen? Nein! Das kam nicht in die Tüte. Die neunmalkluge Sachbearbeiterin sollte ihr schön einen Job in ihrem gelernten Beruf besorgen.
»Ich bin Köchin. Da muss es doch irgendeine Stelle geben. Vielleicht in einem Hotel, meinetwegen auch außerhalb.«
»Als Küchenhilfe wäre das alles kein Problem, aber Sie sind überqualifiziert, und die Stellen als Küchenchef sind rar gesät.«
Schau einer an. Die Frau konnte sogar ironisch sein. Natürlich würde Anja keine Stelle als Küchenchef bekommen, aber als gelernte Fachkraft sollte es durchaus möglich sein, in einem normalen Restaurant unterzukommen.
Frau Krügers Feingefühl reichte dann doch so weit, um einzusehen, dass sie sich die letzte Bemerkung hätte sparen können. »Ich habe die komplette Datenbank nach offenen Stellen im Gastronomiebereich durchforstet«, versuchte sie sich zu rechtfertigen.
»Dann wenigstens eine Stelle, bei der man mit anderen Menschen zu tun hat. Vielleicht als Verkäuferin.«
»Schwierig, schwierig«, sinnierte die graue Eminenz und hackte eifrig auf der Tastatur ihres Computers herum. »Ich hätte da schon ein paar Anfragen, aber...«
»Was aber?«
»Es sind eher repräsentative Tätigkeiten, und ich fürchte, nur wegen Ihrer schönen braunen Augen...«
»Sagen Sie doch gleich, dass ich dafür zu fett bin. So etwas nennt man Diskriminierung«, platzte es aus Anja heraus.
»Ich kann durchaus mit Ihnen mitfühlen«, heuchelte Frau Krüger.
Pah, eine Frau, deren makellose Figur darauf hindeutete, dass Mutter Natur sie mit käsekuchentauglichen Genen ausgestattet hatte, konnte definitiv nicht mitfühlen, was es hieß, täglich um die zwanzig Kilo Übergewicht mit sich herumzuschleppen.
»Es ist nun mal so, dass dickere Menschen rein statistisch
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