Elli gibt den Loeffel ab
purem egoistischem Interesse, wie er sich eingestehen musste. Es ging letztlich um seine Existenz! Pure Gefälligkeit oder der Wunsch, den beiden zu einem unverhofften Erbe zu verhelfen, waren ganz sicher nicht die Triebfedern seines Handelns gewesen. Dafür schämte er sich nun. »Ich glaube, dass die Pension euch gehören sollte, zumindest einer von euch.«
Die beiden sahen ihn an, als hätte er komplett den Verstand verloren.
Dorothea schien sich als Erste zu fangen. »Einer von uns? Und wer soll das bitteschön sein?«, fragte sie.
»Du musst das doch von irgendwoher wissen«, setzte Eleonore nach.
»Ich weiß es von meinem Vater. Er hat es mir kurz vor seinem Tod erzählt.«
»Jetzt blicke ich überhaupt nicht mehr durch.« Eleonore schwenkte die weiße Flagge. »Was hat denn dein Vater damit zu tun?«, fragte sie.
»Gustav, euer Vater... er war ja oft bei uns am Hafen und hat nicht selten gerne mal was getrunken. Die beiden haben sich gut verstanden, und eines Abends hat Gustav wohl zu viel von unserem hausgemachten Limoncello erwischt.«
Eleonore und Dorothea hörten ihm gespannt zu. Er musste einen Schluck Wasser trinken, da ihm die Stimme zu versagen drohte.
»Er war an dem Abend sehr unglücklich. Eure Mutter war wieder einmal auf Segeltour. Gustav hat den Verdacht geäußert, dass seine Erstgeborene nicht von ihm sei.«
Jetzt war es raus! Dorothea wurde augenblicklich kreidebleich, rang um Fassung.
»Wie ist er darauf gekommen?« Elli wirkte mindestens so schockiert wie ihre Schwester.
»Gustav und eure Mutter hatten schon lange nicht mehr miteinander geschlafen, den ganzen August nicht. Das war neunzehnhundertachtundvierzig. Gustav hatte eine Lebensmittelvergiftung und lag drei Wochen in Neapel im Krankenhaus. Du bist im Mai neunundvierzig auf die Welt gekommen, Dorothea. Mein Vater meinte damals, dass Gustav noch nicht einmal mehr ausschließen wollte, dass Eleonore ebenfalls von Alessandro ist.«
»Angenommen, das stimmt, was hast du mit der ganzen Geschichte zu tun?«, fragte Dorothea, die sich offenbar gefangen hatte.
»Ich habe zwanzig Jahre in der Casa Bella für Alessandro gearbeitet. Er wollte, dass ich sie nach seinem Tod weiterführe, aber das geht nur mit eurer Hilfe. Es gibt offiziell keine Erben, und ein einheimischer Hotelier will sich die Pension unter den Nagel reißen. Er hat sehr gute Kontakte...«
»Was, wenn wir nachweisen können, dass wir Alessandros Töchter sind? Glaubst du etwa, dass du die Pension dann weiterführen kannst? Wie naiv ist das denn?« Dorothea hatte damit wohl recht.
Fabrizio blieb nichts anderes übrig, als schuldbewusst zu nicken. Ja, die Annahme war wohl mehr als naiv, aber zugleich seine einzige Chance. Wer würde ihn mit seinen fünfundsechzigjahren denn noch einstellen? Er würde sein Zuhause verlieren, nicht nur die Pension, an der er so hing.
»Wie sollen wir das bitte schön nachweisen? Es gibt kein Testament, oder etwa doch?«, fragte Eleonore ihn mit nachdenklicher Miene.
Fabrizio schüttelte den Kopf. »Der alte Castiglione hat sich in den letzten Jahren um nichts mehr gekümmert. Ich habe trotzdem schon das ganze Haus durchsucht. Jeden Winkel. Nichts!«
Die beiden wirkten nun ebenfalls etwas ratlos.
»Ich hatte gehofft, dass ihr vielleicht etwas wisst, dass eure Mutter euch irgendwann reinen Wein eingeschenkt hat. Vielleicht ein Brief, ein Dokument...«
Einhelliges Kopfschütteln und tiefe Ratlosigkeit waren in Eleonores und Dorotheas Augen zu lesen. Was hatte er da nur angerichtet?
Mitten in der Nacht wachte Elli schweißgebadet auf. Fahles Mondlicht schien über die offene Terrassentür in das Hotelzimmer. Dass Doro friedlich neben ihr schlief, beruhigte sie augenblicklich, doch kaum war sie aus der momentanen Orientierungslosigkeit erwacht, spürte Elli, wie Wut in ihr hochstieg. Wut auf Doro. Der Traum! Sie hatte auch allen Grund, wütend auf ihre Schwester zu sein. Das soeben im Schlaf Erlebte war so intensiv gewesen, dass Elli spontan beschloss, es niederzuschreiben. Sie musste es einfach festhalten. Ein Stück Kindheit hatte sie eben erleben dürfen, einen entscheidenden Moment, der nun förmlich danach schrie, im Licht der kleinen Schreibtischlampe in ihrem Tagebuch verewigt zu werden.
Der Mann mit dem Eis hat strahlende Augen und ein warmes Lächeln. Er steht am Strand. Es ist so heiß, dass der Sand flimmert. Meine Mutter steht neben ihm. Wie hübsch sie doch ist in ihrem Petticoat. Schönes, langes dunkles Haar. Rote
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