Elli gibt den Loeffel ab
inmitten der capresischen Idylle gemeinsam mit Maxim Gorki über die Zukunft Russlands nachgedacht.
»Wie man sich an einem so schönen Ort revolutionäre Gedanken zur Machtübernahme durch das Proletariat machen kann.« Elli versuchte sich mit ihrem bescheidenen Beitrag wieder ins Spiel zu bringen, stellte jedoch enttäuscht fest, dass sie Doro damit nur zu einer längeren Ausführung über Capri als Sommercamp für junge Bolschewiken animiert hatte. Nichts regte sie mehr auf, als wenn sich jemand in den Vordergrund drängte. Wie schon so oft nahm ihre Schwester ihr einfach das Heft aus der Hand und gab es bis ans Ende der Via Krupp nicht mehr her. Erstaunlich, wie die Verhaltensmechanismen aus der Kindheit ganz automatisch abliefen, obwohl sie sie als solche erkannte. Ihre große Schwester war vermutlich mit einem Alphatiergen zur Welt gekommen und besaß die Fähigkeit, alles an sich zu reißen, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Elli hatte das Gefühl, den beiden nur noch hinterherzutraben. Kaum waren sie am Ende des Zickzackkurses angelangt, den Krupp seinerzeit hatte anlegen lassen, um Capri mit dem Meer zu verbinden, ging es im Licht der untergehenden Sonne auch schon wieder nach oben. Ganz schön anstrengend!
»Oskar muss mal«, verkündete Elli, in der Hoffnung, den intellektuellen Vollrausch, in den sich Doro und Heinz hineingeredet hatten, mit einer kurzen Verschnaufpause zu unterbrechen. Das Spiel setzte sich fort, bis sie wieder den Stadtkern von Capri erreichten. Die Piazzetta zeigte ihnen nun ihr zweites Gesicht. Kaum waren die Tagestouristen auf den Fähren nach Neapel oder zu den vielen anderen kleinen Urlaubsorten entlang der Amalfiküste unterwegs, kamen die Einheimischen hervor. Kein hektisches Strömen mehr durch die Gassen. Stattdessen flanierten die Damen in ihren edlen Kostümen mit ihren Begleitern in feiner Herrenrobe gemütlich auf und ab. Paare schlenderten an den Bars entlang. Man traf sich, war unter sich. Nur noch wenige Touristen waren jetzt zu sehen.
Dies machte den Zauber Capris aus, den Elli so sehr liebte, die Ruhe, die der Ort verströmen konnte, wenn die Sonne im Meer versank. Endlich Ruhe auf der Piazzetta, wenn man von Doros Ergüssen über Rilke absah, der sich ihrer Meinung nach von der Insel nachweislich hatte inspirieren lassen. Per Du waren Doro und Heinz mittlerweile auch schon. Hatten sich da etwa zwei gesucht und gefunden?
Ellis zunehmend finsterer Miene und dem Umstand nach, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit Oskar widmete, fragte sich Heinz, was mit ihr los war. Den ganzen Nachmittag kaum ein Wort von ihr. Sie hatte sich regelrecht abgesondert. Wenn er sich mit irgendeiner x-beliebigen Frau so lange unterhalten hätte, könnte er ihr Verhalten ja noch verstehen. Aber Dorothea war ihre Schwester und hatte zudem viel zu erzählen, zugegebenermaßen fast ein bisschen zu viel. Sie hatte ihn regelrecht in Beschlag genommen, doch es wäre unhöflich gewesen, sie schroff abzuweisen. Außerdem war es spannend, sich mit ihr auszutauschen. Wie man es machte, war es wohl verkehrt.
»Hier könnte ich es noch eine Zeitlang aushalten«, versuchte er Dorotheas Redefluss sanft zu unterbrechen und betrachtete dabei nicht nur die Umgebung der kleinen Bar, in die sie eingekehrt waren, sondern sah auch Elli an. Vielleicht sagte sie ja irgendetwas darauf, anstatt Oskar noch die letzten Haare vom Nackenfell wegzukraulen.
»Werweiß, vielleicht müssen wir das ja sogar«, erwiderte Elli, offenbar in Gedanken an die Erbangelegenheit. »Nichts ist schlimmer, als sich jahrelang mit Anwälten auseinanderzusetzen«, fuhr sie fort.
Nun hieß es, am Ball zu bleiben, bevor sich Dorothea wieder einschaltete. »Ich würde erst einmal abwarten, was die Gemeinde zu der neuen Sachlage meint«, versuchte er sie zu trösten.
Sie wirkte immer noch abwesend, fast als ob sie an einem weiterführenden Gespräch gar nicht interessiert sei. »Ich bin müde. Ihr entschuldigt mich.« Elli setzte dazu an, einen Zehneuroschein aus ihrer Geldbörse zu ziehen.
»Ich übernehme das schon«, bot er ihr an.
»Nein, nein. Lass nur«, insistierte sie, legte den Geldschein auf den Tisch und stand auf. »Gute Nacht!«
Von Dorothea kam gerade mal ein kurzes Nicken. Konnte es sein, dass sich die beiden Schwestern nicht gut verstanden? Dann hätte Elli einen Grund mehr, sauer auf ihn zu sein.
»Elli hat wohl einen schlechten Tag«, stellte er fest, in der Hoffnung auf weiterführende Erläuterungen von Dorotheas
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