Ellin
Tiefen des Waldes geflohen. So sammelten sie, was sie in der näheren Umgebung finden konnten, pflückten Wildkräuter, gruben Wurzeln aus und schnitten Pilze, doch war es bei Weitem nicht genug, um alle satt zu bekommen. Soldaten kamen und verlangten nach Essen für die Heerführer und die Buschstreiter, nahmen alles mit und ließen nichts für das Gesinde übrig. Ellin hoffte inständig, dass es in Huanaco genug Vorräte geben würde, um die Meute satt zu bekommen. Während des Tages rückte der Kampfeslärm immer näher, am Abend war er so nah, dass sie die Rufe und Schreie der Soldaten und das Klirren einzelner Schwerter hören konnte. Immer wieder wurden Verwundete herbeigeschleift, die Ellin und Ecarius so gut es ging versorgten, doch wie zuvor starben die meisten schon während der Behandlung. Auch in der Nacht riss der Verletztenstrom nicht ab. Im spärlichen Licht des Feuers nähten und verbanden sie Wunden, entfernten Pfeilspitzen und amputierten Glieder. Der Gestank von Blut, Erbrochenem und Fäkalien hing über dem Lager wie eine Glocke. Sobald Ellin die Augen schloss, sah sie nichts als blutiges Fleisch, Gedärme und Knochen vor ihrem geistigen Auge.
Im Morgengrauen verstummte der Kampfeslärm und eine gespenstische Stille senkte sich über den Wald. Das Gesinde packte zusammen und schlurfte kraftlos dem Waldrand entgegen.
31
W ie ein rachsüchtiger Dämonengott preschte Kylian durch die Reihen der feindlichen Soldaten, die in Scharen über die Lichtung auf den Wald zuströmten. Erbarmungslos metzelte er jeden nieder, der seinen Weg kreuzte. Irgendwann war er umringt von Toten und Sterbenden, die Luft geschwängert von Blut, Rauch und Schweiß. Keuchend blickte er sich um. Seine Muskeln brannten und er war schmutzig, verschwitzt und besudelt mit dem Blut zahlloser huanacischer Soldaten. Die wenigen Überlebenden hechteten zwischen den brennenden Häusern davon. Jubelgeschrei brach aus. Fortas’ Heer hatte Huanaco nicht nur besiegt, es hatte die Stadt regelrecht überrannt. Kylian fragte sich, ob Nosara sich zu sehr auf ihre Schattenkrieger verlassen hatte, zu sicher gewesen war, das Huanaco nicht eingenommen werden konnte. Schon immer hatte sie sich überlegen gefühlt und sicher niemals damit gerechnet, dass Fortas sie offen angreifen würde.
Er blickte zum Waldrand, wo der Herrscher inmitten seiner Leibwachen stand. Während des Gefechts hatten sie über ihn gewacht und dafür gesorgt, dass er sich so wenig wie möglich an dem Kampf beteiligte. Fortas sah sich um, bleich, aber gefasst. Man konnte sehen, dass der Anblick des Krieges etwas Neues für ihn war, doch wirkte er eher neugierig als betroffen. Im Gegensatz zu den Soldaten war er sauber, die Rüstung unbefleckt und seine Haare sahen aus wie frisch gekämmt. Er wirkte, als könnten ihm der Schmutz und das Elend um ihn herum nicht das Geringste anhaben, was ihm etwas Übermenschliches, fast schon Göttliches verlieh.
Ein Schatten huschte durch den Wald. Blätter raschelten. Kylian kniff die Augen zusammen und spähte zwischen die Bäume. Es war windstill. Die Buschstreiter hatten sich am Wegrand versammelt, sie konnten es nicht sein. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Fortas auf einen gefallenen Soldaten zutrat und sich nach etwas bückte. Kylian wendete sein Pferd und blickte zu den Leibwachen. Sie standen mit dem Rücken zum Waldrand und beobachteten den Herrscher.
»Herr«, rief Kylian. »Begebt Euch zu Euren Leibwachen zurück.«
Fortas blickte auf und sah ihn an. »Kylian«, rief er und hob ein verbeultes Schild. »Wir haben gesiegt.«
Ein Warnruf erklang, gefolgt von einem Schrei. Ohne zu überlegen presste Kylian die Schenkel in die Flanken seines Pferdes und preschte voran. Vor dem Herrscher bremste er abrupt ab. Etwas sirrte durch die Luft. Ein Pfeil. Er spürte einen Ruck. Sein Oberschenkelknochen knirschte. Ein widerlicher Laut begleitet von einem glühenden Strom, der durch seinen Körper jagte. Die Leibwachen kamen herbei und umzingelten sie, versuchten, ihren Herrn vor der unsichtbaren Gefahr zu beschützen. Buschstreiter rannten in den Wald, um den Schützen zu suchen. Kylian sah es wie durch einen Nebel. Rasender Schmerz tobte durch sein Bein. Er spürte, wie er das Gleichgewicht verlor und versuchte, sich am Sattelknauf festzuhalten, doch alle Kraft hatte ihn verlassen, war fortgerissen worden von dem daumendicken Pfeil, der in seinem Fleisch steckte. Wie in Zeitlupe rutschte er von seinem Pferd und fiel. Mit einem dumpfen
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