Ellin
am Leben. Wenn die Beinwunde nicht brandig wurde, hatte er gute Überlebenschancen. Natürlich würde sie gerne bei ihm sein und ihn selbst pflegen, doch sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass Heilerin Wu wusste, was sie tat, sonst würde sie nicht in Diensten des Herrschers stehen. Über diesen Gedanken schlief sie ein.
Auch in den folgenden Tagen schaffte sie es nicht, in den Thronsaal zu gelangen, doch sie erfuhr von den Wachsoldaten, dass Kylian sich auf dem Weg der Besserung befand. Mit jeder Faser ihres Leibes sehnte sie sich nach seiner Nähe. Am Tag war sie mit der Pflege der Verletzten und dem Beschaffen von Essen beschäftigt, doch in der Nacht lag sie neben Ecarius auf dem harten Boden, starrte an die Decke und dachte an Kylian.
Am nächsten Tag stieg sie im Morgengrauen zum Thronsaal hinauf, in der Hand zwei Äpfel, die sie aus dem Bündel sterbender Soldaten genommen hatte. Das Essen war knapp und wurde streng rationiert, fast jeder hungerte. Die Wachen standen vor der Tür und blickten ihr erwartungsvoll entgegen. »Guten Morgen, Heilerin. Was führt Euch her, so früh am Morgen?« Sie lachten, wussten sie doch genau, warum sie gekommen war.
»Das Übliche«, erwiderte Ellin und reichte ihnen die Äpfel.
Sofort bissen die beiden hinein und bedankten sich mit einem kurzen Nicken.
»Lasst Ihr mich heute hinein?«, fragte sie.
Die Wachen zuckten mit den Schultern. »Unsere Antwort ist und bleibt die Gleiche, wir sind nicht befugt, euch die Tür zum Thronsaal zu öffnen.«
Ellin seufzte. »Na gut. Dann sagt mir wenigstens, wie es Heerführer Kylian geht?«
»Gut. Heilerin Wu war nur kurz bei ihm, und als ich ihn sah, saß er aufrecht. Sollen wir ihm etwas von Euch ausrichten?«
»Könntet Ihr das tun?«, fragte Ellin hoffnungsvoll.
»Bei jedem Wachwechsel müssen wir uns beim ersten Heerführer melden, der ebenfalls im Thronsaal residiert.«
Ellin klatschte in die Hände. »Das ist wundervoll. Bitte richtet ihm aus, dass ich in Huanaco bin. Das wird ihm nicht gefallen, doch schenkt seinem Gezeter keine Beachtung. Sagt ihm, dass ich auf der dritten Ebene neben der Badekammer nächtige.«
Die Wachen nickten und versprachen, die Nachricht zu überbringen. Beschwingten Schrittes machte Ellin sich auf den Weg zu den Verletzten, deren Zahl mittlerweile so stark geschrumpft war, dass sie im Badehaus untergebracht werden konnten. Die unverletzten Soldaten hatten sich in Huanaco verteilt und schliefen in den Häusern der Bürger oder kampierten am Waldrand. Draußen fiel Ellins Blick auf den dichten Qualm, der seit zwei Tagen den Himmel verdunkelte. Auf der Suche nach Nosara hatten Fortas’ Soldaten den Garten und den Götterhain in Brand gesteckt, in der Hoffnung, sie auszuräuchern. Das Feuer schwelte noch immer. Der Anblick erinnerte Ellin an ihr brennendes Zuhause am Tag des Überfalls und stimmte sie traurig. Wehmütig hielt sie inne, sprach ein kurzes Gebet und gedachte ihrer Eltern, die einen solch sinnlosen Tod gestorben waren.
Die Stimme eines Mannes riss sie aus ihren Gedanken. Erschrocken blickte sie auf. Der Mann trug die zerlumpte Uniform eines huanacischen Soldaten und hatte einen tiefen Schnitt am Kopf, der sein Haupthaar wie ein Scheitel teilte. Verkrustetes Blut klebte in seinen Haaren, die von ungewöhnlich heller Farbe waren.
Nervös blickte er sich um. »Seid Ihr eine Heilerin?«
Ellin nickte stumm, die Traurigkeit in ihr war noch nicht gewichen.
»Wir haben einen Verletzten und brauchen dringend Hilfe.«
»Warum bringt Ihr ihn nicht hierher?«
»Das geht nicht«, erwiderte der Mann, während er einen unsteten Blick in die Runde warf.
Beschwichtigend legte Ellin die Hand auf seinen Arm. »Seid unbesorgt. Wir machen bei der Behandlung von Verwundeten keinen Unterschied zwischen den Männern aus Kismahelia und Huanaco.«
»Das wissen wir«, sagte der Mann. »Doch der Verletzte ist ein hoher Herr und er weigert sich, sich in den Palast bringen zu lassen.«
Ellin runzelte die Stirn. »Was hat er für Verletzungen?«
»Ein Schwertstreich traf ihn an der Schulter. Wir haben die Wunde gereinigt, doch nun hat er Fieber und die Verletzung ist rot und entzündet. Bitte begleitet mich. Es soll Euer Schaden nicht sein.«
Mit diesen Worten fischte er ein paar Prasimünzen aus der Hosentasche und hielt sie ihr hin. Seine Hände waren schmutzig, die Fingernägel lang und eingerissen, als würde er schon eine ganze Weile in der Wildnis leben.
Ellin sah auf die Münzen in seiner Hand
Weitere Kostenlose Bücher