Ellin
Verwundeten. Nur zwei hatten die Nacht überlebt. Schon wurden weitere Verletzte gebracht, deren Aussicht auf Überleben ebenso gering war, wie das ihrer Kameraden. Die Schattenkrieger waren hervorragende Schützen und trafen ihr Ziel mit tödlicher Präzision. Zum ersten Mal befand sich auch ein Buschstreiter unter den Verwundeten, doch er starb während Ecarius den Pfeil aus seinem Bauch entfernte. Nach dem Verzehr eines halben Gerstfladens mit Kräuterschmalz marschierten sie weiter. Ellin war vollkommen erschöpft, hatte sie doch in der ersten Nacht kaum und in der zweiten Nacht gar nicht geschlafen. Den anderen erging es nicht besser, jeder trug die Zeichen der Schlaflosigkeit und folgte gebeugt den ausgetretenen Spuren.
Gegen Abend hielten sie plötzlich inne. Weiter vorn gab es einen Tumult. Lautes Rufen erklang und das vertraute Zischen der Pfeile. Erschrocken zerrte das Gesinde die Tragen mit den Verwundeten unter die Wagen und suchte dann ebenfalls Schutz.
»Sie wollen die Verpflegung stehlen«, rief ein vorbeihastender Soldat.
Ellin warf Ecarius einen besorgten Blick zu. Ohne Verpflegung würden sie Hunger leiden und hungrige Soldaten waren schlechte Kämpfer, vom Durst ganz zu schweigen. Ihre Augen wanderten über das Dickicht. Ein huschender Schatten erregte ihre Aufmerksamkeit. Mit klopfendem Herzen starrte sie in den Wald hinein. Da war er wieder. Ein dunkler Schemen. Wie ein Geist glitt er von Baum zu Baum. Ellin hielt den Atem an. Schon schoss der erste Pfeil aus dem Dickicht hervor, traf einen verwundeten Soldaten. Die Frauen schrien. Ellin griff nach Ecarius’ Hand.
Die Schattenkrieger trugen ihren Namen zu Recht. Wie Schatten huschten sie zwischen den Bäumen umher. Ihre Pfeile kamen aus dem Nirgendwo und trafen immer ihr Ziel. Die Soldaten stürmten in den Wald und versuchten, die Feinde zu töten, doch einer nach dem anderen brach getroffen zusammen. Plötzlich traten die Schattenkrieger aus dem Dickicht hervor und sprangen auf den Weg. Sie trugen eng anliegende Kleidung, die aussah wie Baumrinde. Ihre Haare glänzten ölig und lagen straff am Kopf und ihre Gesichter waren mit brauner und grüner Farbe bemalt, sodass sie mit dem Wald regelrecht zu verschmelzen schienen. Nur ihre Augen leuchteten unheilvoll.
Flink wie Apinas kletterten sie auf die Wagen und durchtrennten die Seile, die die Vorratskisten umspannten. Das Gesinde beachteten sie nicht, behielten sie nicht einmal im Auge, als wären sie nur hilfloses Getier. Starr vor Angst sah Ellin zu, wie die Schattenkrieger die Vorratskisten abluden, sie in Windeseile in den Wald schleppten und ganz nebenbei die herbeieilenden Soldaten töteten. Ein Schattenkrieger fand ihren Blick. Wie gebannt starrte sie in sein bemaltes Gesicht, unfähig ihre Augen abzuwenden. Die Abenddämmerung warf dunkle Schatten auf seine Haut. Er sah aus wie ein Waldgott aus uralter Zeit, rachsüchtig und gefährlich. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er ihre Angst bemerkte und bevor er wieder mit dem Wald verschmolz, zwinkerte er ihr zu.
Schlagartig wurde es still. Die Schattenkrieger waren verschwunden und mit ihnen die gesamten Vorräte. Niemand rührte sich. Ellin ließ den Kopf auf die Arme sinken und schloss die Augen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte. Die Buschstreiter huschten herbei und verfolgten die Spur der Schattenkrieger, doch es war zu spät. Sie waren schon längst verschwunden.
Langsam kroch das Gesinde aus den Verstecken und beobachtete die vergebliche Suche. Hoffnungslosigkeit breitete sich aus wie eine ansteckende Krankheit. Die Nacht war entsprechend unruhig. Das Gesinde sprach nur im Flüsterton miteinander, und auch nur wenn es unbedingt nötig war, niemand kam wirklich zur Ruhe. Ellin starrte in die Dunkelheit und hing ihren Gedanken nach. Die Kämpfe hatten sich wieder nach vorn verlagert und der Gefechtslärm drang nur gedämpft an sie heran.
Am Morgen rafften sie zusammen, was noch übrig war − und das war verschwindend wenig ‒ und setzten ihren Weg fort. Soldaten kamen herbei, teilten ihnen mit, dass der erste Trupp den Wald passiert hatte, und erkundigten sich nach den verbliebenen Vorräten. Im Angesicht der leeren Wagen machten sie betretene Gesichter und verfluchten die Schattenkrieger für ihre Tat. Im Laufe des Tages rückten sie Stück für Stück voran. Wenn sie anhalten mussten, was sehr oft geschah, suchten sie erfolglos nach kleinen Beutetieren. Die Tiere waren vor der Menschenschar in die
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