Ellin
schleuderte der Seelenhüter die Arme empor, als würde er einen kleinen Vogel in die Freiheit entlassen. »Befreit ihre Seele von der weltlichen Mühsal und schickt sie hinauf zum Thron der Götter.«
Die Menschen taten es ihm gleich. Hunderte Arme hoben sich empor und entließen Nosara in die Ewigkeit.
Kylian stand neben Fortas und wartete ungeduldig auf das Ende der Zeremonie. Die Menschen um ihn herum wirkten ergriffen, während er nur daran denken konnte, dass Ellin sich in Lord Wolfhards Gewalt befand. Endlich, nach gefühlten Stunden, war die Verbrennung vorüber. Die stummen Palastdiener sammelten Nosaras Asche, um sie in einer feierlichen Prozession den Herrscherhügel hinaufzutragen und sie in die Winde zu verstreuen.
»Kylian«, sagte Fortas plötzlich. »Komm zu mir.«
Kylian trat auf den Herrscher zu, kniete sich nieder und beugte sein Haupt. Das verletzte Bein schmerzte bei der ungewohnten Bewegung, doch er schenkte dem keine Beachtung.
Fortas räusperte sich. »Ich habe nachgedacht.«
Unwillkürlich ballten sich Kylians Hände zu Fäusten. Sein Körper vibrierte vor innerer Anspannung. Dies war der alles entscheidende Moment.
»Sieh mich an«, befahl der Herrscher.
Kylian blickte auf. Seine Brust hob und senkte sich im Rhythmus seines aufgeregten Herzschlags.
»Ich bot dir Reichtum, Frauen, ein hohes Amt in meinem Reich, doch du hast alles abgewiesen«, sagte Fortas. »Stattdessen willst du mich verlassen. Warum? Bin ich dir kein guter Herr gewesen?«
Kylian schluckte. »Euer Angebot ist überaus großzügig und Ihr seid ein gütiger Herrscher, doch mehr als alles andere verlangt es mich danach, frei zu sein. Ich tauge nicht für das höfische Leben, so verlockend es für andere auch sein mag.«
»Wie ich hörte, warst du ein loyaler Untertan meiner Schwester und auch in meinen Diensten hast du dich als ehrenwert und mutig erwiesen. Daher fiel mir die Entscheidung schwer.« Er hielt inne.
Kylian hielt den Atem an, fixierte den Herrscher mit seinem Blick.
»Ich habe lange überlegt, sehr lange, ob ich Euch aus meinen Diensten entlassen soll oder nicht, und bin zu folgendem Schluss gelangt …«
Kylian stieß die Luft aus seinen Lungen. Fortas war zur förmlichen Anrede zurückgekehrt.
Das konnte nur eines bedeuten.
»Hiermit entlasse ich Euch aus meinen Diensten. Ihr seid frei.« Er reichte Kylian eine Schriftrolle. »Dieses Schriftstück bestätigt meine Worte. Ihr werdet es brauchen, falls irgendjemand Euer Brandmal bemerkt.«
Kylian drückte die Stirn auf den Boden. »Ich danke Euch, edler Herrscher. Eure Güte ist ein Zeichen Eures göttlichen Geblüts.«
Fortas schmunzelte und erhob sich. »Ich muss zugeben, Eure Schmeichelei gefällt mir noch mehr als Eure Kampfkunst. Versprecht mir, sollte Euch Euer Weg eines Tages nach Kismahelia führen, müsst Ihr mir einen Besuch abstatten.«
Kylian erhob sich. »Ich verspreche es.«
Fortas nickte. »So sei es denn. Ich wünsche Euch alles, was Ihr Euch wünscht.«
Andächtig schritt der Herrscher die Stufen hinab, bestieg die bereitstehende Sänfte und führte die Prozession zum Herrscherhügel an.
Ungeduldig wartete Kylian, bis Fortas außer Sicht war, wühlte sich dann durch die Menge und verließ die Arena. Der Grauschimmel, den er vor dem Haus der Sklavinnen zurückgelassen hatte, stand gesattelt bereit. Er schwang sich auf den Rücken des Pferdes und preschte in die Dunkelheit davon.
36
D ie Soldaten schleiften Ellin durch den Korridor, der zu Lord Wolfhards Gemächern führte. Die Wachmänner vor der Tür blickten betreten zur Seite, während sie die Tür öffneten, um sie einzulassen. Lord Wolfhard glänzte mit Abwesenheit, was Ellin erleichtert zur Kenntnis nahm. Skavos zog vier Seile hervor und befestigte sie an den Bettpfosten. Die Magd kicherte hämisch. Unauffällig steckte Ellin die Hand in die Tasche und klaubte drei von Mathýs Kugeln aus dem Lederbeutel. Als sie auf das Bett geworfen wurde, schob sie sich die Kugeln in den Mund und drückte sie mit der Zunge in die Backentasche.
Die Soldaten wickelten die Seile um ihre Handgelenke und zurrten sie so fest, dass sie tief in ihr Fleisch schnitten. Ellin spürte den scharfen Schmerz auf ihrer wunden Haut und sog zischend die Luft zwischen die zusammengebissenen Zähne. Ungerührt machten die Soldaten weiter.
»Viel Spaß«, spottete Skavos beim Hinausgehen, was die Magd mit einem weiteren Kichern quittierte.
Ellin hatte gehofft, die Kugeln noch eine Weile aufheben zu
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