Ellin
können, doch sie begannen bereits, sich aufzulösen. Ein bitterer Geschmack gemischt mit muffiger Süße füllte ihren Mund. Sie blickte sich um. Das Schlafgemach sah aus wie immer, nur der Waschtisch schien neu. An der gegenüberliegenden Wand hingen die ausgestopften Kadaver zweier Tiere, eine Schneekatze und ein Apina, sowie ein großes Horn. Wider Erwarten fühlte sie sich nun, da sie sich tatsächlich in Lord Wolfhards Gemächern befand, ruhiger. Es war, als hätte sie schon immer gewusst, dass es eines Tages so weit kommen würde. Mit plötzlicher Gewissheit erkannte sie, dass sie in dieser Nacht sterben würde. Entweder durch Lord Wolfhards Hand oder durch ihre eigene, denn weder würde sie um Verzeihung bitten, noch um Gnade winseln. Sie hoffte nur, dass die Teufelspilze ihre Wirkung taten und sie nicht, von Schmerz und Demütigung überwältigt, doch noch um Erbarmen flehen würde. Sie verbot sich den Gedanken an Kylian und konzentrierte sich stattdessen auf die leblose Kreatur an der Wand, deren weißes Fell unglaublich weich, fast schon seidig anmutete. Sie stellte sich vor, wie sie es berührte, wie die zarten Haare durch ihre Finger glitten, sie kitzelten.
Die Schneekatze verschwamm vor ihren Augen, die Kammer drehte sich, was ihr Übelkeit verursachte. Schnell schloss sie die Lider, versuchte mit tiefen Atemzügen, den Schwindel zu vertreiben. Als sie die Augen wieder öffnete, war die Schneekatze verschwunden. Obwohl sie darüber erstaunt sein sollte, ließ sie die Tatsache seltsam unberührt. Eine Bewegung zu ihrer Linken erregte ihre Aufmerksamkeit. Da war sie. Die Schneekatze. So lebendig wie ein Fisch im Wasser. Sie sprang auf das Bett und tapste mit geschmeidigen Schritten auf sie zu und sie lachte, hoch und piepsig. Es klang wie das Lachen eines Kindes. »Was bist du?«, fragte Ellin. Ihre Stimme klang dumpf, als hätte sie einen Knebel im Mund. Die Schneekatze kicherte. Hitze kroch in Ellins Glieder, brachte ihre Wangen zum Glühen. Das Tier legte sich an ihre Seite und schmiegte sich an ihren Leib. Ihr Fell war wie Eis und kühlte ihre erhitzte Haut.
»Hast du einen Namen?«, murmelte Ellin. Irgendwo in den Tiefen ihres Gehirns erkannte sie, wie unsinnig diese Frage war und sie stieß ein freudloses Lachen aus. Die Schneekatze hob den Kopf und blickte sie an, mit Augen vom strahlenden Blau einer Lobeliablume.
Unan , hallte es in ihrem Kopf.
»Unan?« Der Name brachte etwas in ihr zum Schwingen, eine ferne Erinnerung. Über ihrem Kopf wölbte sich die Kammer wie die Kuppeldecke eines Gebetshauses.
»Unan«, wisperte Ellin. Krampfhaft versuchte sie, wenigstens einen klaren Gedanken zu fassen. Die Schneekatze kletterte auf ihre Brust, bohrte ihre Krallen in ihre Haut. Sie spürte es kaum, sah nur, wie sich das Kleid dunkel färbte von ihrem Blut.
Blutrache hallte es in ihrem Kopf. Sein Blut für dein Blut .
Sie versuchte, die Hände zu bewegen, doch durch die Seile waren sie taub und gefühllos. Die Wände rückten von ihr ab. Ihr Körper schien sich aufzublähen, als versuchte er, die entstandene Weite zu füllen. Ein ekelhaftes Gefühl. Fremd. Unmenschlich. Die Schneekatze sprang von ihrer Brust und landete zwischen ihren Beinen, nur waren es ihrer plötzlich Zwei. Ellin keuchte.
Blutrache schrie es in ihrem Kopf und immer wieder: Sein Blut für dein Blut! Die Schneekatzen kicherten im Duett.
Sie ist in dir, suche sie, lass sie hinaus. Das war Geldis’ Stimme. Sie ist in dir.
Ja, dachte Ellin unsinnigerweise. Ich spüre sie. Sie ist in mir.
Befreie sie! Lass sie hinaus.
Ellin kniff die Augen zu und tastete nach der Wesenheit in sich. Schimmernde Spuren zogen sich durch ihren Körper wie ein Adergeflecht aus Licht. Da war sie, ganz tief in ihr drin. Eine zusammengekauerte Gestalt, haarlos, fast ein Kind noch. Ihre lobeliablauen Augen blickten sie an, fragend und auch ein wenig vorwurfsvoll.
»Hilf mir«, wisperte Ellin. Das Kind schüttelte den Kopf und wich zurück. Es hatte Angst. Bitte, flehte Ellin. Komm heraus und hilf mir .
Ihr Geist wanderte durch die Tiefen ihrer Seele, ein stilles Flehen hallte durch ihren Körper, strömte die leuchtenden Spuren entlang bis in den entferntesten Winkel. Das Kind horchte auf und folgte ihrer Stille. Nur nebenbei nahm Ellin wahr, wie die Tür geöffnet wurde und Lord Wolfhard in die Kammer trat. Es war ihr egal. Zu tief war sie in sich selbst versunken. Stumm flehte sie das kleine Wesen um Beistand an, bis ein Ruck durch ihren Leib ging und
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