Ellin
die auf der Wiese grasten. Kylian, sowie zwei weitere Männer und eine Frau saßen schweigend um ein kleines Feuer herum und bearbeiteten ihre Waffen. Die Frau war groß und von schlankem Wuchs und hatte ebenso schwarzes Haar wie Kylian, nur bändigte sie es nicht mit einem Lederband, sondern trug es offen. Ihr Gesicht wurde von mehreren schmalen Zöpfen umrahmt. Ihre Nase war, wie Kylians, leicht gekrümmt, wenn auch zierlicher. Ellin vermutete, dass es sich um seine Schwester oder zumindest eine nahe Anverwandte handelte. Die beiden anderen Männer hingegen waren von unterschiedlicher Natur. Einer war sehr groß und muskulös und erinnerte sie an einen von Lord Wolfhards Meisterkämpfern. Die braunen Haare hatte er im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst. Der andere hatte, im Gegensatz zum Rest der Gruppe, kurzes, blondes Haar und wirkte vergleichsweise schmächtig aber flink, er schien nur zwei oder drei Sternenläufe älter als Ellin. Überhaupt war er der Einzige, dessen Alter sie zu schätzen wagte, die anderen wirkten auf eigentümliche Weise alterslos. Noch hatte die Gruppe sie nicht erblickt und so wanderten ihre Augen zu der Ausrüstung und den Waffen. Ein jeder hatte ein Schwert, mindestens zwei Dolche sowie mehrere Wurfscheiben. Auch eine Streitaxt, eine Schleuder und eine Armbrust entdeckte Ellin. Unwillkürlich fragte sie sich, warum einfache Nomaden über ein derart umfangreiches Waffenarsenal verfügten.
Verwirrt zog sie den Vorhang zu und kehrte zu ihrer Schlafstatt zurück. Sie mochte jung und unerfahren sein, doch bei den Göttern, das waren keine Nomaden. Sie fragte sich, welche Funktion Geldis innehatte. Eine Kämpferin war sie offensichtlich nicht. Auch als Köchin schied sie aus, ansonsten hätte sie und nicht dieser Jesh den Eintopf vom Abend zuvor zubereitet. War sie die Mutter von einem der Männer? Einen Moment lang überkam Ellin der Gedanke an Flucht, der jedoch umgehend von der Stimme der Vernunft abgelöst wurde. Die Leute mochten ihr nicht geheuer sein, doch sie hatten sie gesund gepflegt und waren ihr somit nicht feindlich gesonnen. Dennoch beschloss sie, wachsam zu bleiben und den seltsamen Trupp bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu verlassen.
Im rückwärtigen Teil des Wagens entdeckte sie eine gefüllte Waschschüssel, einen Kamm und eine kleine, polierte Vanadiumscheibe. Sie streifte das fremde Nachtgewand über den Kopf und wusch sich ausgiebig. Anschließend machte sie sich daran, ihr völlig zerzaustes Haar zu entwirren, was einige Zeit in Anspruch nahm. Da sie weder Haarklammern noch Bänder zur Verfügung hatte, um es zu einem züchtigen Knoten aufzustecken, versuchte sie es mit einem geflochtenen Zopf. Die Sachen aus ihrem Bündel lagen gereinigt und gefaltet neben ihrer Schlafstatt. Sie streifte Untergewand, Tunika und Beinkleider über, schlang ein Lederband um ihre Hüfte und begab sich zum Einstieg. Es war an der Zeit, ihren mysteriösen Rettern gegenüberzutreten.
Mit pochendem Herzen kletterte sie aus dem Wagen. Kylian erblickte sie zuerst. Sofort sprang er auf, verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte sie mit einem strengen Blick. Die anderen hatten ihr Erscheinen nun ebenfalls bemerkt und erhoben sich. Der junge Mann lächelte breit, seine Augen blitzten vergnügt. Er trat auf sie zu und verneigte sich. »Es freut mich, dass es Euch bessergeht. Mein Name ist Jesh.«
Vor Aufregung brachte Ellin keinen Ton heraus, lächelte nur scheu.
Jesh tat, als würde er ihre Unsicherheit nicht bemerken und wies auf die schwarzhaarige Frau. »Das ist Nuelia.«
Nuelia nickte ihr zu.
»Und das ist Butan«, er deutete auf den kräftigen Mann, der sich nun seinerseits vor ihr verneigte.
Das Blut pochte in ihren Ohren und ihre Wangen glühten, als sie sich zu einer Antwort zwang. »Ich danke Euch für Eure Hilfe und Gastfreundschaft und es ist mir eine Ehre, Euch alle kennenzulernen.«
Alle, bis auf Kylian, musterten sie neugierig, aber nicht unfreundlich, trotzdem waren ihr die Blicke unangenehm und sie verspürte den Wunsch, sich wieder im Wagen zu verkriechen. Jesh bot ihr einen Platz neben sich an. Sobald sie sich gesetzt hatte, bestürmte er sie mit Fragen. Auch Nuelia und Butan legten ihre Arbeit nieder und lauschten interessiert. Da Ellin alle Fragen nur einsilbig beantwortete, berichteten sie ihr schließlich, dass sie fünf Tage und Nächte auf dem Krankenlager gelegen hatte, was sie staunend und auch ein wenig erschrocken zur Kenntnis nahm.
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