Ellin
gehalten, in die schimmernde Perlen eingearbeitet waren. Im Gegensatz zu ihren Untertanen war sie bleich wie ein Wintermorgen. Ihre Augen leuchteten in einem warmen Braun, gesprenkelt mit funkelndem Gelb, wie Edelsteine im Licht der untergehenden Sonne. Ihr Gesicht, makellos und von unbestimmbarem Alter. Doch war ihre Schönheit nicht der Grund, warum Ellin den Blick nicht von ihr wenden konnte. Sie kannte diese Frau. Es war die Frau auf dem Turm aus ihrem Fiebertraum.
Hast du ihn getötet? Die Frage aus einem Traum war plötzlich verwoben mit der Wirklichkeit. Das konnte kein Zufall sein. Ihre Blicke trafen sich. Die Herrscherin neigte kaum merklich den Kopf, ihr Lächeln verblasste und wich einem fragenden Gesichtsausdruck. Sicher war Nosara es gewohnt, angestarrt zu werden, jedoch nicht so unverfroren und ohne einen Hauch von Demut. Doch Ellin schaffte es einfach nicht, den Blick abzuwenden und sich zu verneigen. Der Thronsaal verstummte. Geldis, die neben Ellin stand, stupste sie in die Rippen. »Verbeug dich, Mädchen. Schnell.«
Ellin befreite sich aus ihrer Starre und verneigte sich rasch. Angst überfiel sie. Würde die Herrscherin sie wegen ihres anmaßenden Verhaltens bestrafen? Vorsichtig linste sie nach links und rechts.
»Kylian«, sagte Nosara plötzlich in die Stille hinein, ergriff Kylians Hände und veranlasste ihn, aufzusehen.
»Ich habe mir schon ernsthafte Sorgen um Euch gemacht. Erzählt, wie geht es Euch?«
Das Lächeln, das sie ihm schenkte, wirkte so vertraut, dass es Ellin einen eifersüchtigen Stich bescherte. Zornesröte stieg in ihre Wangen, als sie sah, wie Kylian das Lächeln scheinbar ehrlich erwiderte. Missmutig blickte sie an sich hinab. Neben der Herrscherin wirkte sie wie eine schmutzige Bauernmagd. Eigentlich sollte ihr das egal sein. Doch das war es nicht. Zum ersten Mal erkannte sie deutlich, dass ihr etwas an Kylian lag.
»Ich bin wohlauf, Herrin«, antwortete er.
Die Herrscherin wartete, ob er fortfahren würde und lachte dann leise. »Wortkarg, wie immer. Aber es freut mich, Euch unverletzt und im Vollbesitz Eurer Kräfte zu sehen.«
Sie betrachtete den Rest der Gruppe. »Wie ich sehe, seid Ihr nicht in gleicher Gesellschaft. Wo ist Butan?«
»Er ist tot«, erwiderte Kylian knapp.
Nosara blickte ihn erstaunt an. »Wie konnte das geschehen?«
»Er wurde vergiftet.«
»Vergiftet? Von wem?«
Kylian senkte die Stimme. »Ich zöge es vor, unter vier Augen mit Euch darüber zu sprechen, Herrin.«
Nosaras Gesicht wurde ernst. »Dann hat es etwas mit dem Auftrag zu tun?«
»Ja, Herrin.«
Sie runzelte die Stirn. »Habt Ihr den Auftrag erfüllt?«
Kylian zögerte. »Teilweise. Wir konnten drei von Ihnen töten.«
Sie presste die Lippen aufeinander, und obwohl sich ihr Gesicht kaum veränderte, sah sie mit einem Mal ungehalten aus. Ihr feines Lächeln verblasste, wich einem unbestimmten Ausdruck von Missfallen. »Welche drei?«
»Die bronzehäutigen Männer«, antwortete Kylian.
»Sie waren nicht Teil Eures Auftrags«, entgegnete Nosara. Nun klang ihre Stimme ungehalten.
Kylian senkte den Kopf. »Ich weiß, Herrin. Wir haben versagt.«
Stille. Unter gesenkten Augenlidern sah Ellin nach Jesh und Nuelia. Sie wirkten ebenso angespannt wie Kylian.
»Nun gut«, sagte die Herrscherin schließlich. »Über die Einzelheiten sprechen wir später.«
Nosara musterte die anderen. Ellin hörte ihren eigenen Herzschlag, während sie die Augen auf den Boden gerichtet hielt und sich fühlte wie ein Insekt, welches jeden Augenblick zertreten werden konnte.
»Wie ich sehe, habt Ihr schwere Zeiten hinter Euch«, sagte die Herrscherin plötzlich wieder liebenswürdig. »Meine Diener werden Euch in die Gästekammern geleiten und Euch ein Bad sowie saubere Kleidung herrichten. Zur Feier Eurer unversehrten Rückkehr lade ich Euch zu einem Festmahl. Es beginnt, wenn der Nordstern am Himmel erblüht.«
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und entfernte sich. Der Duft von wilden Blumen entstieg ihrem Gewand. Ellin sah auf und blickte ihr nach. Die Herrscherin ging leichtfüßig und elegant, als würde sie schweben.
Noch einmal verneigten sie sich tief und entfernten sich dann rückwärts aus dem Thronsaal. Der stumme Diener führte sie die äußeren Stufen hinab zur nächsten Ebene.
»Wohin bring er uns?«, fragte Ellin an Jesh gewandt.
»In die Gästekammern. Die obere Ebene des Palasts ist der Herrscherin vorbehalten. In der Zweiten werden hochrangige Gäste und die Leibdiener
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