Ellin
der Götterhain«, flüsterte Jesh an Ellin gewandt. »Das ist ein heiliger Ort, den man nur mit Genehmigung der Herrscherin betreten darf.«
»Was ist so Besonderes an diesem Ort?«, fragte Ellin.
»Das ist schwer zu beschreiben, er ist einfach wunderschön. So erhaben und still«, erwiderte Jesh versonnen.
Am Ende des Weges traten zwei einfach gekleidete Männer mit geschorenen Häuptern auf sie zu, ergriffen die Zügel der Pferde und führten sie zum westlichen Ende der Mauer in einen flachen Unterstand. Ellin wunderte sich, dass Kylian dies ohne Gegenwehr zuließ, doch da er nicht zum ersten Mal in Huanaco weilte, war ihm die Prozedur wahrscheinlich vertraut. Nachdem die Grej Perlinos fortgeführt worden waren, betraten sie einen Torbogen, der sie in das Innere des Palastes führte.
Obwohl Fackeln die Gänge erhellten, war es angenehm kühl. Ein breiter Gang führte in den Innenhof, in dessen Mitte ein Springbrunnen stand. Umgeben war er von bunten Vögeln, die fröhlich zwitscherten, perfekt gestutzten Grünflächen, auf denen blassrosa Blumen wuchsen, sowie mehreren Steinbänken. Ein Bediensteter trat von irgendwoher auf sie zu und verneigte sich ehrerbietig. Ellin bemerkte, dass er zwar ebenfalls ein geschorenes Haupt hatte, sich aber am Hinterkopf ein daumengroßes Rund aus Haaren befand, das, zu einem dünnen Zopf geflochten, über seinen Rücken fiel. Seine Kleidung war von dunkelblauer Farbe und mit weißen Symbolen bestickt. Um die Hüfte hing ein Gurt mit einem beachtlichen Säbel. Schweigend führte er sie den Gang entlang zu einem gegenüberliegenden Ausgang. Entlang der Außenmauer steuerte er auf eine breite Treppe zu und begann, sie zu erklimmen. Sie folgten ihm, wobei Geldis sichtlich Probleme mit dem Aufstieg hatte. Ächzend quälte sie sich die Stufen empor. Auf der zweiten Ebene hielten sie inne. Der Diener bedeutete ihnen zu warten, und begab sich in das Innere des Palasts. Kurz darauf kehrte er mit zwei Sänftenträgern zurück. Sie stellten die Sänfte vor Geldis ab und baten sie mit einer Verbeugung auf dem gepolsterten Sitz Platz zu nehmen. Geldis dankte ihnen und setzte sich erleichtert. So ging es weiter die Stufen hinauf, wobei sich jede Treppe genau auf der entgegengesetzten Seite des Palastes befand, als die jeweilige zuvor und sie dazu zwang, das Gebäude immer wieder zu umrunden. Ellin fragte sich, warum der Aufstieg derart umständlich angelegt worden war, bis ihr der Gedanke kam, dass die Bauweise Feinden, denen es gelang, in den Palast einzudringen, den Weg nach oben enorm erschwerte. Bis sie die Gemächer der Herrscherin erklommen hätten, wäre sie mit Sicherheit durch irgendeinen Geheimgang geflohen. Bedienstete sah sie nicht, weswegen sie davon ausging, dass es für das Gesinde eigene Aufgänge gab.
Nach endlosen Stufen erreichten sie die Spitze des Gebäudes. Einen Moment lang hielten sie inne, um Atem zu schöpfen, folgten dann dem Korridor vor ihnen, der sie direkt in den Thronsaal führte. Die Türen standen offen, sodass sie ohne anzuhalten eintreten konnten. Ellin blickte sich um. Die Wände waren mit wunderschönen, bunten Teppichen verhängt, der Fußboden bestand aus glänzenden, weißen Steinplatten, die so glatt waren, dass sie das Sonnenlicht reflektierten. In der Mitte des Saales war ein riesiges, aus unzähligen bunten Steinen gefertigtes Mosaik in den Boden eingearbeitet, welches zwei prächtig gekleidete Menschen zeigte, die auf einem Hügel standen und auf ein blühendes Land hinabblickten. Das kunstvoll gearbeitete Mosaik reflektierte das Sonnenlicht, sodass Ellin den Eindruck hatte, dass sich die Menschen und die Landschaft bewegten. Entlang der Wände lagen runde Sitzkissen um flache Tische herum. Überall hingen Vorhänge von der Decke, die den Saal in kleine Bereiche teilten und ihm Behaglichkeit verliehen. Sie waren so zart, dass sie in der Brise, die durch den Thronsaal wehte, flatterten.
Am Ende des Mittelganges saß die Herrscherin, von Dienerinnen umringt, auf einem Thron, der ebenfalls aus glänzendem Stein gefertigt war. Samtkissen sorgten für ihre Bequemlichkeit. Als sie die Gruppe erblickte, erhob sie sich und winkte sie heran. Eilig folgten sie der Aufforderung und verneigten sich in gebührlichem Abstand. Nur Ellin nicht. Wie gebannt starrte sie auf die in strahlendem Weiß gekleidete Frau. Das fließende Gewand umwehte ihren Leib, ihr langes Haar war so schwarz, dass jedes andere Schwarz dagegen verblasste. Es wurde von weißen Bändern
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