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Ellin

Ellin

Titel: Ellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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würde einem Mann im Traum nicht einfallen.«
    Unwillkürlich dachte Ellin an die Felsenfestung. Baden bedeutete dort, in einem mit kochend-heißem Wasser gefüllten Bottich zu sitzen und sich mit einer Bürste den Dreck abzuschrubben, bis die Haut wund und rot war. Die Inanspruchnahme von Seife galt als Luxus, der nur hohen Herren und Damen von Stand vorbehalten blieb. Tief sog sie die lieblichen Düfte ein und konnte es plötzlich kaum erwarten, in das dampfende Wasser zu steigen.
    »Darf ich als Erste baden?«, fragte sie.
    Nuelia nickte. »Natürlich, doch es ist genug Platz für zwei. In Huanaco ist es üblich, dass die Menschen gemeinsam baden, es gilt als gesellig und festigt die freundschaftlichen Bande. Aus diesem Grund ist das Badebecken auch so groß.«
    »Wirklich?« Ellin sah sie mit großen Augen an.
    »Wirklich! Auf der Rückseite des Palasts befindet sich ein Gebäude, das einzig dem gemeinsamen Baden dient. Dort können mindestens zwanzig Frauen und Männer gleichzeitig baden.«
    »Frauen und Männer? Gemeinsam? Niemals!«
    Nuelia lachte, das erste Mal seit Butans Tod. »So verwerflich wie es sich anhört ist es nicht. Meistens baden Männer und Frauen getrennt, doch wenn sie es gemeinsam tun, zum Beispiel vor einem großen Fest oder nachdem sie den Bund geschlossen haben, dann verhüllen sie ihr Geschlecht.«
    Sprachlos betrachte Ellin das Becken. Gemeinsames Baden war schon anstößig genug, doch wenn es sich dabei gar um Männer und Frauen handelte, schien ihr das regelrecht skandalös. Wie schafften es die Männer, den so offen zur Schau gestellten weiblichen Reizen zu widerstehen?
    Nuelia seufzte. »Ich habe oft mit Butan gebadet.«
    »Wirklich? Und Ihr habt Euch nicht geschämt?«
    »Nein. Es war wunderschön.« Die Erinnerung erhellte Nuelias Gesicht und trieb zugleich Tränen in ihre Augen. »Ich vermisse ihn.«
    Ellin griff nach ihrer Hand. »Habt ihr den Schwur geleistet?«
    Nuelia schüttelte den Kopf. »Das war nicht nötig. Wir waren Gefährten bis in den Tod, im geistigen und auch im körperlichen Sinn.«
    »Es tut mir so leid«, sagte Ellin leise. »Also … wenn … Ihr wirklich wollt, bin ich bereit … mit Euch gemeinsam zu baden. Ich bin zwar nur ein armseliger Ersatz für Butan, doch Ihr sollt nicht denken, dass Ihr ganz alleine seid.«
    Nuelia lächelte sie traurig an. »Danke. Ich weiß, wie schwer Euch das fällt. Doch ich rate Euch, Ellin, löst Euch von den vecktanischen Moralvorstellungen. Sie sind nachteilig, vor allem für Frauen. Halten sich die vecktanischen Männer trotz keuscher Frauen etwa zurück? Soweit ich gehört habe, nehmen sie eine Frau notfalls auch mit Gewalt. Wenn Ihr mich fragt, ist das weitaus verwerflicher als gemeinsames Baden.«
    Nervös nagte Ellin an ihrer Unterlippe. Nuelia hatte recht. Trotzdem war die Vorstellung befremdlich und verursachte ihr Unbehagen. Ihr Leben lang war sie dazu erzogen worden, ihren Körper zu verhüllen, um bloß keine männlichen Begierden zu wecken. Wenn sie allerdings an Lord Wolfhard und seine Männer zurückdachte, musste sie sich eingestehen, dass die hochgeschlossenen Kleider nicht allzu viel nutzten. Zudem war Nuelia kein Mann und es erschien ihr unhöflich, sie vom Baden abzuhalten, vor allem da sie nicht wusste, ob die Sklavinnen noch einmal heißes Wasser bringen würden. »Nein. Ich gewöhne mich besser gleich an die fremden Sitten. Die Götter werden es verstehen.«
    »Das werden sie ganz sicher«, erwiderte Nuelia und begann, ihre Tunika aufzuschnüren.

15
    B leiche Wesen wandern über die Ebene. Ihre Leiber scheinen formlos und weich, wie Teig bevor er gebacken wird, doch ihr Wille ist fest und stark. Sie fühlen nichts und sie sehen nichts, sind weder warm noch kalt, weder Mensch noch Tier. Der Grund ihrer Existenz ist Zorn. Ein Zorn, klirrend und kalt, wie der Frost eines Wintermorgens. Sie tragen ihn vor sich her wie ein totes Kind und zerstören alles auf ihrem Weg, was Wärme und Licht braucht. Die Welt um sie herum erstarrt.
    Sie haben ein Ziel: Rache. Nur aus diesem Grund existieren sie.
    »Verrat«, wispern sie. Stimmen wie splitterndes Glas.
    »Ich kenne Euch!«, sagt Geldis.
    »Wir sind die ersten Zwei«, erwidern sie.
    »Wohin führt Euch Euer Weg?«
    »Zu ihr.«
    »Zu wem?«
    »Zu ihr. Immer nur zu ihr.«
    »Was wollt Ihr von ihr?«
    »Rache.«
    »Für was wollt ihr Euch rächen?«
    »Für ihren Verrat.«
    »Wer hat Euch verraten?«
    »Sie.«
    »Wer?«
    »Nosara.«
    Geldis schreckte aus dem Schlaf.

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