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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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mich zum Frühstück mit einer Portion salzigem Maisbrei und einem großen Becher Kräutertee, der wehmütige Erinnerungen an Jemaina in mir wachrief.
    Der Tag verging wie im Nebel. Meister Rowalds Blick ruhte dann und wann sanft verwundert auf mir, aber er sprach mich nicht an. Ich kopierte die üblichen langweiligen Depeschen und Aktennotizen und versuchte, meine Ungeduld zu zügeln. Die mittägliche Pause verbrachte ich nicht im Speisesaal, sondern zog mich mit einer Handvoll Nüsse und Sämereien in eine Fensternische des menschenleeren Obergeschosses zurück und blickte, während ich Erdnüsse knackte und Sonnenblumenkerne schälte, träumerisch auf einen der unzähligen Höfe dieses verwinkelten Baus hinunter.
    Der Nachmittag dehnte sich wie eine einsame Nachtwache. Endlich gab Meister Rowald uns das Zeichen zum Beenden unserer Arbeit. Ich reinigte in ungeduldiger Hast meine Schreibwerkzeuge. An der Tür hüstelte jemand, und ich erblickte das mißgelaunte Gesicht des Lakaien, der mich auch an meinem ersten Tag zu meinem Quartier geführt hatte.
    »Ich habe Anweisung, den Schreiber Elloran zum Kammerherrn zu bringen«, näselte er, als Rowald ihn fragend ansah. Ich hörte, wie meine Kollegen zu tuscheln begannen und verbiß mir ein zufriedenes Grinsen. Ich räumte meine Federn fort und stand auf. Der Lakai hielt mir mit verkniffenem Gesicht die Tür auf, und ich schritt hocherhobenen Hauptes hindurch. Wir gingen an meiner Kammer vorbei, wo ich mein schmales Bündel aufnahm und ohne Abschiedsblick den kleinen Raum für immer verließ.
    Das schlichte Quartier des Kammerherrn war gedämpft beleuchtet und leer. Der Lakai ließ mich eintreten und schritt dann an mir vorbei zu der zweiten, in einen Nebenraum führenden Tür, an die er leise anklopfte. Ich sah auf den kleinen Tisch nieder, der festlich mit edlem Geschirr gedeckt war. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Unbehaglich rief ich mir im Geiste all die kleinen, zufällig wirkenden Gesten zurück, mit denen mich der Kammerherr gestern abend immer wieder berührt hatte. Ich atmete tief und zitternd ein und entschied, die Sache auf mich zukommen zu lassen. Vielleicht war dies der bescheidene Preis, den ich für seine Protektion zu zahlen hatte.
    Der Lakai trat zu mir und zog meinen Sessel zurück. Nachdem ich mich gesetzt hatte, schenkte er hell funkelnden, grünen Wein aus einer geschliffenen Karaffe in zwei ebenso kostbare Kristallgläser und zog sich schweigend neben die Eingangstür zurück. Die innere Türe öffnete sich, und der Kammerherr trat ein. Ich wußte nicht genau, was ich eigentlich erwartet hatte, aber zu meiner Erleichterung trug er seine ganz gewöhnliche Kleidung: eine schlichte dunkelgraue Hose mit blendend weißen Strümpfen darunter, ein weitärmeliges Hemd mit geöffnetem Kragen und eine silbergraue lange Weste, die sich über seinem runden Bauch leicht spannte. Als einziger Schmuck seiner unauffälligen Erscheinung saß ihm der schwarz-goldene Siegelring der Krone an der Hand und – was mir zum ersten Mal auffiel – ein kleiner Reif aus dünnem Silberdraht in seinem linken Ohrläppchen.
    Höflich stand ich auf, als er eintrat. Er winkte mir, ich möge mich wieder setzen, und nickte dem Lakaien auffordernd zu, der sich knapp verbeugte und lautlos den Raum verließ. Karas setzte sich mir gegenüber und hob mir das Weinglas entgegen. Ich erwiderte den Salut und nippte an dem kühlen Getränk. Karas hielt das Glas genießerisch an seine Nase und atmete mit halbgeschlossenen Augen den Duft des Weines ein, bevor er mit gespitztem Mund einen kleinen Schluck davon nahm.
    »Ein Geschenk der Götter«, sagte er gedämpft. »Das ist Schneewein aus dem höchsten Norden von Nisgard. Auf der ganzen Welt gibt es davon vielleicht vier oder fünf Fässer – und drei von ihnen befinden sich hier, in der Kronenburg, im Königlichen Weinkeller. Genieße ihn also mit angemessener Andacht, mein lieber Junge!« Das tat ich. In meinem Leben hatte ich noch nie ein solches Aroma gekostet: die Göttin selbst würde nichts Besseres zu ihrer Erfrischung finden können als diesen süß-herben, pfirsichduftenden, leicht prickelnden Trank. Vor Wonne seufzend, trank ich erneut davon.
    Karas beobachtete mich wohlwollend. Er legte eine Hand auf meine und fragte: »Bist du zufrieden, mein Kind?« Ich nickte mit leiser Verlegenheit. Lautlos öffnete sich die Tür, und der Lakai trat ein als Vorhut einer Schar von Köchen und Küchenhelfern mit Tabletts

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