Ellorans Traum
was für den Tag an Arbeit ansteht. Morgen werden wir viel zu tun haben. Schlaf wohl, mein Junge.« Er zog mich an sich und küßte mich auf die Wangen. Dann war ich allein und rieb mir überrascht das Gesicht. Dieser Mensch war mir ein großes Rätsel – aber ich wollte mich nicht beklagen. Was ich bisher über den Kammerherrn erfahren hatte, ließ es mir äußerst wünschenswert erscheinen, sein Protegé zu sein. Als Karas' persönlicher Sekretär würde ich mich wahrhaftig in einer beneidenswerten Stellung befinden.
Der Lakai Mikel trat ein und musterte mich geringschätzig. Ich erhob mich und sah ihn mit meinem hochmütigsten Blick an. Er hielt mir die Tür auf und grinste dreckig. Dann schien seine Miene wieder so steinern wie vorher. Vor Wut kochend, folgte ich ihm durch den Flur bis zu einer Tür unweit der Räume des Kammerherrn. Er stieß sie auf, ich marschierte an ihm vorbei und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.
Die beiden Räume, die der Kammerherr mir hatte zuweisen lassen, waren ähnlich klein und bescheiden eingerichtet wie sein eigenes Quartier, aber mir erschienen sie wie der Himmel selbst. Lustvoll ließ ich mich auf einen kleinen Diwan fallen, strich über die weich gepolsterte Lehne und streckte meine Füße auf dem dicken Teppich aus. Das hier war ein wirklich angenehmer Fortschritt seit der harten Pritsche des Arbeitshauses. Zufrieden reckte ich mich und stand auf, um das zweite Zimmer zu begutachten. Ein großes, weiches Bett, ein kleiner Schreibtisch und ein schmaler Schrank für meine Kleider befanden sich darin, das Gestell mit der Waschschüssel stand, von einem Paravent verdeckt, in der Ecke. Ich stieg aus meinen Kleidern, warf sie achtlos zu Boden und füllte Wasser aus der großen Kanne in die Schüssel, um mich flüchtig zu waschen. Dann löschte ich die Kerzen und ließ mich wohlig in die weichen Kissen des Bettes fallen.
Mein Schlaf war tief und traumlos und ließ mich am anderen Morgen frisch und ausgeruht erwachen. Ich hatte glücklicherweise nicht den dicken Kopf vom Vortag, was mir für meinen Dienstantritt als privater Sekretär des Kammerherrn nur sehr recht war. Ich schüttelte meine zerknautschten Kleider aus und schlüpfte wieder hinein, dann bürstete ich mein Haar und band es sorgfältig zurück. Der Tag konnte beginnen.
Voller Tatendrang öffnete ich die Tür und schritt zum Quartier des Kammerherrn. Ich klopfte an und trat ein. Die Tür zum Nebenraum stand halb offen, und ich sah in ein Zimmer, ähnlich eingerichtet wie das meinige. Karas, halb angekleidet, schaute heraus und rief munter: »Auf die Minute pünktlich, das lobe ich mir! Setz dich ruhig hin, ich bin gleich fertig.«
Ich nahm wieder an dem kleinen Tisch Platz, auf dem schon ein üppiges Frühstück auf uns wartete. Ich blickte auf goldenes Rührei, knusprig gebratene, dicke Schinkenscheiben, Brot und Honig, eine silberne Kanne, aus der es verlockend nach heißer Schokolade roch ... Wenn ich mit dem Kammerherrn alle Tage so reichlich und gut frühstücken mußte – von Mahlzeiten wie dem ›kleinen Abendessen‹ des vergangenen Tages ganz zu schweigen – würden mir meine neuen Kleider nicht mehr lange passen, das schien so sicher wie der Sonnenaufgang.
»Schenk uns schon einmal von der Schokolade ein«, rief Karas von nebenan. Ich gehorchte und konnte nicht widerstehen, einen Schluck von der dampfenden Süßigkeit zu probieren. Der Kammerherr trat ein, legte den tiefroten langen Rock, den er über dem Arm trug, auf den Diwan und setzte sich zu mir. Er lächelte mich an und faßte über den Tisch, um mir mit seiner molligen Hand den Schokoladenbart abzuwischen. Dann breitete er die Serviette über seine goldbestickte rote Seidenweste und fragte: »Hast du gut geschlafen, liebes Kind?« Ich nickte und lächelte zurück. Langsam begann ich mich an die merkwürdigen Zärtlichkeiten meines Dienstherren zu gewöhnen, ich war nicht einmal zurückgezuckt, wie es mir gestern noch passiert wäre.
Er aß wie am gestrigen Abend: konzentriert und schweigend. Noch satt von meiner letzten Mahlzeit, pickte ich nur ein wenig an dem lockeren Rührei herum. Endlich schob er seinen Teller fort und tupfte sich die Lippen ab. Er lehnte sich zurück und hob die Tasse an seinen Mund.
»Wir haben heute zwei unangenehme Besprechungen vor uns«, sagte er. »Du wirst nicht beiden beiwohnen müssen, aber ich möchte dich bitten, in deiner freien Zeit meinen Schneider aufzusuchen, damit er dir neue Kleider anmißt. Ich
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