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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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ihren fremdartigen Augen freundlich an und bot auch mir ihre kühle Hand. Dann wies sie auf zwei Polsterstühle und ließ sich selbst anmutig auf ein Sofa sinken.
    »Was kann ich für dich tun, Karas?« fragte sie und strich zärtlich über das Gefieder des Vogels. Ich ertappte mich dabei, daß ich sie schon wieder anstarrte. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein menschliches Wesen eine derart dunkle Haut haben konnte – sie war sogar noch um etliche Schattierungen schwärzer als die Jemainas, die mir schon immer unglaublich dunkel erschienen war.
    Karas räusperte sich wieder und sagte: »Es geht um meinen jungen Freund hier, Leonie. Er ist Veeloras Enkel und hat durch einen Unfall seine Sprache verloren. Sein ... sein Lehrer Julian hat ihm geraten, dich aufzusuchen.« Ich unterbrach meine Betrachtung Leonies und des kleinen Raben, der verblüffend Magramanir ähnelte, und warf dem Kammerherrn einen argwöhnischen Blick zu. In seiner scheinbar harmlosen Erklärung hatte ein drohender Unterton mitgeschwungen, der mich verwunderte.
    Leonie lächelte mit halbgeschlossenen Augen und hörte auf, den Raben zu kraulen. Sie wandte mir ihr schönes Gesicht zu und legte ihre langen, dunklen Finger um meinen Kopf. Aus nächster Nähe konnte ich die unzähligen kleinen Fältchen und Runzeln sehen, die ihr Gesicht durchzogen. Sie mußte weitaus älter sein, als ich auf den ersten Blick vermutet hatte. Ihre goldenen Vogelaugen bohrten sich ohne zu blinzeln in meine, und ich bemühte mich, dem Blick standzuhalten. Endlich ließ sie mich los und stand in einer fließenden Bewegung auf. Sie trat wortlos an ein kleines Schränkchen, öffnete es und holte eine winzige Phiole mit einer blutrot schillernden Flüssigkeit hervor. Karas rutschte unbehaglich auf die Sesselkante und fragte: »Was hast du vor?« Sie sah ihn schweigend an. Ich konnte ein stummes Duell zwischen den beiden beobachten. Dann entspannte sich Leonies Gesicht, und sie lächelte dünn.
    »Keine Angst, Kammerherr, deinem Schützling geschieht nichts. Er wird nur tief und fest schlafen, damit ich genauer untersuchen kann, worin seine Sprachlosigkeit begründet liegt.« Sie reichte mir die Phiole und bedeutete mir, ihren Inhalt hinunterzuschlucken. Ich warf einen unsicheren Blick auf meinen Dienstherren, und er nickte mir aufmunternd zu.
    »Tu, was sie sagt, mein Kind. Sie wird dir nicht schaden, das verspreche ich dir.« Leonie lächelte spöttisch über die unverhüllte Drohung in seiner Stimme. Ich setzte die Phiole an. Die dicke, rote Flüssigkeit rann scharf und brennend meine Kehle hinunter, und ich fühlte fast augenblicklich meine Glieder schwer werden und meine Augenlider herabsinken. Ich fiel in den Sessel zurück und konnte kein Glied mehr rühren. Dennoch war mein Gehör so scharf und mein Hirn so hellwach wie zuvor.
    »War das nötig?« fragte Karas scharf.
    Leonie lachte leise und antwortete: »Ich hatte eine Ahnung, daß du mit mir sprechen willst, ohne daß der Junge zuhört. Also, Karas?«
    »Was für ein Spiel spielst du, alte Frau?«
    »Nun, dasselbe wie du, alter Mann«, antwortete sie. »Oder willst du etwa leugnen, daß du den Jungen für deine Zwecke mißbrauchen willst, genau wie alle anderen?« Lange Zeit herrschte unheilvolle Stille, und so sehr ich meine Ohren auch anstrengte, vernahm ich nichts als das Gurren der Tauben und Karas' angestrengten Atem.
    »Du wirst dem Jungen nicht schaden«, sagte er schließlich mühsam. »Er ist mir zu wichtig und auch zu lieb ...«
    »Ach, Karas«, unterbrach ihn die Frau ungeduldig. »Versuche nicht, ausgerechnet mir den sentimentalen alten Narren vorzuspielen! Der bist du so wenig wie ich. Wenn es darauf ankäme, würdest du diesen Jungen kaltblütig dem Wohl der Krone opfern, das weißt du genausogut wie ich!«
    »Der Krone?« spuckte der Kammerherr aus. »Die Krone! Ich wollte, ich könnte sie mir endlich vom Halse schaffen, die Krone, lieber heute als morgen!« Sein Atem ging schwer und heftig nach diesem erschreckenden Ausbruch.
    Leonie sagte amüsiert: »Solch harsche Worte von ihrem angeblich loyalsten Diener! Karas, du überraschst mich doch immer wieder.«
    »Die Krone ist eine harte Herrin«, flüsterte der Kammerherr. Beide schwiegen, als sei dem nichts mehr hinzuzufügen.
    »Kannst du dem Jungen helfen?« brach Karas endlich die Stille.
    »Ich denke schon. Es bleibt mir ja auch kaum etwas anderes übrig, Julian erwartet es schließlich von mir.«
    »Julian«, sagte Karas – und

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