Ellorans Traum
fertigzuwerden. In Abständen, aber dennoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, erschien Kammerherr Karas morgens schweigsamer als sonst, fast mürrisch. Sein Blick war verschattet und der Mund verkniffen, er erledigte fast geistesabwesend und ohne den sonstigen Schwung seine Arbeit; aß so gut wie nichts und trank dafür schon früh am Tag mehr, als gut für ihn war. An solchen Tagen wußte ich, wie mein Abend aussehen würde. Ich blieb an seiner Seite, bis er sinnlos betrunken war und brachte ihn dann zu Bett. Mikel, sein Diener, war mir zu Anfang mit Mißtrauen und Eifersucht begegnet, aber inzwischen hatten wir uns stillschweigend auf einen respektvollen Waffenstillstand geeinigt. Ich hatte ein wenig den Eindruck, daß er nicht böse darüber war, wenn ich mich bei solchen Gelegenheiten statt seiner seines Herrn annahm.
Karas sprach nie über diese Abende. Morgens taten wir beide, als läge nichts anderes als das übliche gemeinsame Abendessen hinter uns, und gingen kommentarlos zur Tagesordnung über. Ich haßte es, den alten Mann, den ich schätzte und überaus achtete, in einem solch würdelosen und beschämenden Zustand zu erleben. Dennoch erfüllte es mich auch mit Stolz, daß er mir gestattete, es zu tun. Karas arbeitete derart hart und nahm dabei so wenig Rücksicht auf seine Gesundheit, daß diese gelegentlichen Exzesse wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für ihn darstellten, die Last des Alltags hinter sich zu lassen und etwas Entspannung zu finden.
Einmal fragte ich ihn, ob er nicht auch das spiel spiele, bei dem ich mir inzwischen geradezu besessene Kämpfe mit Leonie lieferte. Hin und wieder gelang es mir sogar, eine Partie zu einem Unentschieden zu führen, und es reizte mich, meine Fähigkeiten an einem anderen Gegner zu messen. Aber Karas lehnte das mit einer solchen Vehemenz, ja fast Wut ab, daß ich auf das Thema nicht mehr zurückkam.
Ich fragte Leonie, vorsichtig, weil sie meine bisherigen Versuche, sie über Karas ein wenig auszuhorchen, immer mit bissigem Sarkasmus abgewehrt hatte. Dieses Mal antwortete sie mir, was mich so überraschte, daß ich fast einen fatalen Zug mit meinen Jägern getan hätte, der mich mit Sicherheit aus dem Spiel geworfen hätte.
»Der Kammerherr«, sagte sie nachdenklich. »Wir haben ganze Nächte hindurch gespielt, deine Großmutter, Karas und ich.« Sie lächelte gedankenverloren in sich hinein. »Es gibt eine reizvolle, aber sehr schwierige Spielvariante zu dritt. Karas gewann sie fast immer, was deine Großmutter jedesmal zur Weißglut gereizt hat. Er war ein brillanter Spieler, aber er hörte damit auf, als seine Tochter starb. Dieses grauenhafte Unglück ...« Sie sprach nicht weiter, und ich wartete vergebens auf eine Erklärung. Magramanir flatterte zum Fenster herein und landete neben dem Spielbrett.
»Oh, hallo, Magramanir«, rief Leonie erheitert. »Wolltest du mitspielen?« Mir war schon des öfteren aufgefallen, daß sie nie Julian ansprach, sondern immer nur den Raben.
Magramanir schüttelte sich, und Julian sagte: »Um nichts in der Welt. Du weißt, wie sehr ich dieses alberne Spiel hasse. Es ist so – sinnlos. Holzfiguren über ein Brett schieben, als ginge es um Leben und Tod!«
Leonie lachte mit überraschter Erheiterung auf. »Nein, das habe ich allerdings nicht gewußt. Sag, kann ich etwas für dich tun, oder machst du uns nur einen Freundschaftsbesuch?«
Der Rabe kratzte sich hingebungsvoll mit einer schwarzen Kralle am Hinterkopf, und Julian sagte etwas verlegen: »Ich habe Neuigkeiten für dich. Aber es wäre mir lieber ...« Er unterbrach sich, und der Rabe betrachtete mich schweigend. Ich verstand und erhob mich.
»S-spielen wir morgen weiter, Leonie?« Sie nickte, und ich verabschiedete mich ein wenig verletzt von Julian und Magramanir. Früher als sonst von meiner Mittagspause zurück, platzte ich in Karas' Arbeitszimmer in ein offenbar vertrauliches Gespräch. Karas und sein Besucher sahen irritiert und unangenehm gestört auf. Karas' Miene zeigte heftigen Zorn, ehe er mich erkannte und sein Blick etwas weicher wurde.
»Störe uns jetzt bitte nicht, mein Junge«, sagte er sehr bestimmt. »Ich gebe dir den Nachmittag frei. Wir sehen uns heute abend bei mir, einverstanden?«
Ich nickte, zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten des Raumes verwiesen, und wandte mich zum Gehen. Da mischte sich der Besucher des Kammerherrn mit einer hohen, flötenähnlichen Stimme ein. »Einen Augenblick noch, wenn Ihr erlaubt, Karas.« Ich
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