Ellorans Traum
zögerte und sah einen unwilligen Schatten über Karas' Gesicht huschen. Dann nickte er knapp. Der Besucher drehte sich zu mir um. Ich mußte mich zusammenreißen, um ihm meine Gefühle nicht zu zeigen. Dieser Fremde stieß mich auf den ersten Blick ab. Ich unterdrückte einen heftigen Schauder, als er jetzt aufstand und nahe zu mir trat. Er war groß, beinahe so groß wie ich, und überschlank, fast hager. Sein Schädel, der wie aus poliertem Marmor gefertigt schien, war vollständig haarlos mit unbewegten, wie gemeißelt wirkenden Zügen, einem schmalen, grausamen Mund und völlig farblosen Augen. Abgestoßen und gleichzeitig gefesselt sah ich sie an: Seine Augen waren weder grau, noch blau, noch grün; sie waren ohne jede Farbe und doch auch nicht einfach weiß. Die Wirkung war gespenstisch, so wie seine ganze Erscheinung unheimlich und mir auf unbeschreibliche Art widerlich war.
Der Mann griff ohne Vorwarnung nach meiner Hand. Ich mußte mich zwingen, sie ihm nicht angeekelt zu entreißen: Mein Handgelenk umklammerten eiskalte graue Finger, die sich anfühlten, als seien sie aus fühllosem Stein und nicht aus lebendem, atmendem Gewebe. Lieber hätte ich einen toten Fisch berührt, als diese leblosen Glieder. Er hielt meine Hand einen Atemzug lang fest und nickte dann, als habe sich bestätigt, was er erwartet hatte. Er setzte sich wieder zu Karas und sagte mit seiner seltsam geschlechtslosen Stimme: »Wo waren wir stehengeblieben, Karas?«
Ich stand wie erstarrt. Der Kammerherr scheuchte mich mit einer ungeduldigen Bewegung hinaus. Als ich leise die Tür schloß, hörte ich ihn sagen: »Es ging um den mutmaßlichen Verräter hier in der Burg, Botschafter Galen.« Einen Augenblick lang lehnte ich mich an die geschlossene Tür und atmete tief durch. Das war also der hochgeachtete Botschafter der Allianz, dessen scharfsinnige und humorvolle Berichte mir etliche unterhaltsame und gleichzeitig lehrreiche Tage beschert hatten. Ich schüttelte mich. Hoffentlich mußte ich diesem Mann niemals wieder begegnen!
Das blieb natürlich ein frommer Wunsch. In den nächsten Wochen arbeiteten Karas und der Botschafter so eng zusammen, daß ich dem unheimlichen Menschen schlecht aus dem Weg gehen konnte, auch wenn ich mich ehrlich darum bemühte. Anfangs dachte ich, Karas hege einen ähnlichen Widerwillen gegen den Botschafter wie ich und kaschiere das nur besser, weil er eben dazu gezwungen war, mit ihm zusammenzuarbeiten und vielleicht auch, weil er den zugegebenermaßen klugen Kopf des Mannes zu schätzen wußte. Aber als ich eines Abends dieses Thema anschnitt, wurde ich eines Besseren belehrt.
Der Kammerherr schmunzelte verhalten, rollte einen Schluck des würzigen Glühweins abkühlend im Munde herum und sagte: »Beurteile Menschen nicht nur nach dem ersten Eindruck, Elloran. Galen ist ein sehr geistreicher, sehr scharfsinniger Mann. Sicher, man muß sich an ihn und seine, sagen wir, unterkühlte Art zuerst ein wenig gewöhnen, aber das lohnt sich durchaus. Du solltest dich einmal länger mit ihm unterhalten, ich bin sicher, du würdest ihn schon bald ähnlich zu schätzen wissen, wie ich es tue.« Ich antwortete nicht, sondern zog nur ein Gesicht. Das Lächeln in Karas' Gesicht vertiefte sich.
Wir kamen auf dieses Thema nicht mehr zurück, aber an meiner Meinung über den Botschafter änderte sich nichts. Ich verabscheute ihn von ganzem Herzen, und dabei sollte es auch bleiben. Aber immerhin, ich mußte eingestehen, daß der Botschafter geradezu aufopferungsvoll daran arbeitete, das überaus gespannte Verhältnis zwischen S'aavara und den Kronstaaten zu verbessern, das ihn doch im Grunde gar nicht betraf. Er erklärte sich sogar bereit, sich eine Woche lang mit dem Kronrat und Karas in Klausur zu begeben, um Veeloras Vorschläge für ein Abkommen, die er aus S'aavara mitgebracht hatte, in eine für alle Seiten annehmbare Form zu bringen.
Diese Woche kostete alle Beteiligten den letzten Rest ihrer ohnehin strapazierten Nerven. Der Kronrat, ein Haufen starrköpfiger und bornierter alter Frauen und Männer, die die höchsten Adelsgeschlechter der Kronstaaten repräsentierten, verwarfen jeden der Vorschläge, die Karas und der Botschafter in den vergangenen Wochen mühevoll erarbeitet hatten. Einer von ihnen, der Herr von Nydendahl, ein uralter, knochiger Norrländer, verstieg sich sogar zu der Äußerung, wenn die T'jana-Fürsten einen Krieg wollten, warum, bei allen bösen Geistern, man ihnen dann nicht gäbe, was sie
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