Ellorans Traum
Heiler wiederzusehen.
»S-seid ihr alle hier? Wo ist ...«
Akim ging an mir vorbei zur Tür. »Ich bin alleine hier«, antwortete er mürrisch. »Galen hat mich zurückgerufen, damit ich mir den Kammerherrn ansehe. Und jetzt reise ich mit ihm wieder ab.«
Ich folgte ihm ins vordere Zimmer und sagte erschreckt: »Galen. N-Natürlich, daher kannte ich diesen N-Namen!« Ich schüttelte mich vor Ekel und stieß hervor: »Ich begreife jetzt, w-warum ihr eine s-solche Angst vor ihm hattet, Tom und du.«
Er blieb jäh stehen. Ich sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. »Angst«, sagte er mit einem unterdrückten Beben in der Stimme, das mir einen heillosen Schrecken einjagte. Der Blick, der mich fixierte, war hingegen beinahe amüsiert zu nennen. »Angst«, wiederholte er. »Das ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck.«
Er öffnete die Tür, und ich rief hastig: »W-würdest du Tom ...«
»Ich grüße ihn«, rief er knapp und bog um die Ecke.
Karas sah mir neugierig entgegen, als ich wieder ins Zimmer trat. »Du scheinst den Heiler des Botschafters ja recht gut zu kennen«, bemerkte er.
Ich mußte schlucken, die Begegnung hatte mich aus meinem neuerworbenen Gleichgewicht gebracht. »Ja«, sagte ich mühsam. »Ich b-bin mit ihm und seinem F-Freund ein großes Stück des Wegs hierher gereist.«
Tom. Ich hatte seit Wochen nicht mehr an ihn gedacht. Ich dachte überhaupt nicht mehr viel an meine Vergangenheit, die Gegenwart hielt mich viel zu sehr in Atem.
Karas nickte sehr nachdenklich. Dann schüttelte er sich und machte ein unbehagliches Gesicht. »Dein Heilerfreund hat mir eine Standpauke gehalten, die sich gewaschen hat«, grummelte er. »Ein grober Klotz, dieser junge Mensch. Aber ich denke, ich werde brav sein und mich jetzt hinlegen, wie er mir befohlen hat. Er bringt es fertig und kommt in einer Stunde, um nachzusehen, ob ich seinen Anweisungen folge!«
Ob wegen oder trotz Akims Behandlung, in den nächsten Tagen ging es mit Karas' Befinden rapide bergauf. Nach zwei weiteren Tagen war er wieder auf den Beinen und scheuchte mich in alter Form durch die Gegend. Es war vieles liegengeblieben, was wir nun sichten und je nach Wichtigkeit möglichst sofort erledigen mußten oder erst einmal auf einen Stapel irgendwann demnächst schichten konnten. Karas vergrub sich schimpfend und die Haare raufend in den Bergen von Papier und schickte mich pausenlos hin und her, um verlegte Akten zu suchen, säumige Beamte anzutreiben und im Archiv nach Vorgängen zu suchen, die sich irgendwie aus seinem Arbeitszimmer verlaufen hatten.
Im Zuge einer solchen Suche betrat ich eines späten Nachmittags nach langer Zeit einmal wieder Meister Rowalds Domäne. Die Schreibstube summte vor Geschäftigkeit. Ich begrüßte den Alten herzlich und fragte ihn nach dem Verbleib des gesuchten Aktenvorgangs.
Er überlegte einen Augenblick lang, dann schnalzte er mit der Zunge, nickte und bat mich, ein paar Minuten zu warten, er sähe im Archiv nach.
Ich schaute aus dem Fenster auf den großen Hof hinunter und dachte über eine Spielstrategie nach, die mir beim Mittagessen eingefallen war, und mit der es mir höchstwahrscheinlich gelänge, Leonie zu überraschen. Im Geiste malte ich mir ihr verblüfftes Gesicht aus und hörte ihr spöttisches Lob, als ich bemerkte, daß mich jemand ansprach. Es war der große, vierschrötige Schreiber Jord. Ich hatte nicht verstanden, was er mich gefragt hatte, und bat ihn höflich, seine Worte zu wiederholen.
Er sah mich starr an und sagte: »Wie gefällt es dir, der persönliche Begleiter des Kammerherrn zu sein?« Ich murmelte etwas Unverbindliches, weil mich irgend etwas an seinem Ton störte. Einige der anderen Schreiber ließen ihre Arbeit ruhen und blickten uns gespannt an. »Ja«, sagte Jord gedehnt, »so viel Glück hat nicht jede Bettwanze, daß sie von dem hohen Herrn persönlich aus dem Arbeitshaus geholt wird. Aber so ein hübsches Kerlchen wie du ...« Er grinste breit und dreckig, und die anderen lachten beifällig. Ich ballte um Beherrschung bemüht die Fäuste und bat ihn in sehr kontrolliertem Ton um eine Erklärung seiner Worte.
Er sah sich unschuldsvoll um und sagte: »Warum, was habe ich denn gesagt?« Der Schreiber, der hinter ihm saß, kicherte. »Immerhin«, fuhr Jord fort, »wir sollten dankbar und glücklich sein: Der gnädige Herr läßt sich inzwischen herab und spricht mit uns gemeinem Volk.« Er hob seine fleischige Hand und spuckte hinein. Dann hielt er mir
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