Ellorans Traum
dämmern begann. Im Gang setzte ich mich in eine Fensternische und drückte meine erhitzte Stirn an das dicke Glas. Was hatten diese Träume bloß zu bedeuten? Leonies dunkle Andeutungen schienen in ihnen widerzuklingen, aber ich hatte von dem spiel doch schon zu träumen begonnen, bevor ich sie überhaupt kennengelernt hatte.
Ich begann leicht zu frösteln. Mein Gesicht spiegelte sich undeutlich im Fensterglas. Ich betrachtete es, als gehörte es einem Fremden. Veelora hatte recht, ich hatte wirklich zugenommen. Mein Gesicht war voller als früher, und auch meine vordem so eckige Figur schien rundlicher geworden. Noch war ich nicht eigentlich dick, aber trotzdem befanden sich an einigen Stellen weiche Fleischpolster, wo früher nur Knochen oder harte Muskeln zu spüren gewesen waren. Vielleicht sollte ich besser hin und wieder auf eine der Mahlzeiten mit Karas verzichten und statt dessen zusehen, daß ich mich wieder etwas mehr bewegte. Die Arbeit am Schreibtisch war ein schlechter Ersatz für ein Kampftraining mit Nikal oder Jenka. Ich mußte unwillkürlich lachen. Wie hatte meine Traumschwester gesagt? Ich sei leicht abzulenken? Sie hatte ganz recht damit.
Ich stand auf und ging hinunter in den Hof. In den Stallungen war der Tag längst erwacht. Ich hielt mich für einige Zeit dort auf, stromerte zwischen dampfenden Misthaufen und schwitzenden, fluchenden Stallknechten herum, streichelte hier und da ein samtiges Pferdemaul und dachte an Salvok.
Natürlich verspätete ich mich zum Frühstück. Karas und Veelora hatten bereits damit begonnen, als ich mich mit einer Entschuldigung auf meinen Platz schob. Veelora lächelte mich an und legte ihre Hand auf meine Wange. Sie sah erholter aus als am gestrigen Abend, und auch Karas wirkte entspannter, als ich ihn seit Wochen erlebte hatte. Veelora trug über ihren Reithosen ein weites Männerhemd, das ich als eins von Karas' Hemden erkannte, und dessen etwas zu kurze Ärmel sie kurzerhand aufgekrempelt hatte. An ihrem rechten Handgelenk blitzte der breite silberne Armreif, den ich schon auf Salvok an ihr gesehen hatte. Auffälliger Schmuck war etwas, was so gar nicht zu meiner Großmutter passen wollte.
»So, ihr Lieben«, sagte sie munter, »jetzt legt einmal los. Wie bist du hierhergekommen, Elloran? Und wie habt ihr euch kennengelernt, dein – der Kammerherr und du?«
Ich begann zu erzählen, assistiert von Karas. Veelora und er hielten sich während der ganzen Zeit bei den Händen, als befürchteten sie, jemand könnte sie zu trennen versuchen.
»Das ist ja eine tolle Geschichte«, sagte sie, als wir geendet hatten. »Weiß deine Mutter denn inzwischen, wo du bist?« Ich sah sie schuldbewußt an. Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, daß sich Ellemir vielleicht Sorgen um meinen Verbleib machte.
Karas räusperte sich und sagte: »Ich habe sie benachrichtigt.« Er blickte mich verlegen an. »Tut mir leid, wenn ich das über deinen Kopf hinweg entschieden habe – aber ich dachte, es wäre besser so.« Ich nickte stumm und trank einen großen Schluck von meinem Tee.
Karas erhob sich und sagte entschuldigend: »Vee, meine Liebe, ich muß los. Ich habe gleich eine Besprechung mit der Obersten Maga und muß mich noch vorbereiten.« Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Ihr habt euch doch sicher eine Menge zu erzählen«, setzte er hinzu. »Elloran, ich gebe dir für heute frei. Und du, Liebste, kannst auch noch etwas Ruhe gebrauchen. Ich würde mich freuen, wenn wir drei zusammen zu Mittag essen, und heute nachmittag berichtest du mir dann von S'aavara. Einverstanden?«
Ich sah mit Staunen, wie lammfromm meine eigensinnige Großmutter Karas' als Vorschläge getarnte Anweisungen entgegennahm. Sie mußte diesen Mann wirklich sehr lieben. Ich brannte vor Neugier. Daß die beiden sich schon als Kinder gekannt hatten, wußte ich bereits von Karas. Aber seit wann waren sie ein Paar? Und was hielt wohl mein Großvater, der Kapitän, von dieser Sache?
Wir gingen schweigend nebeneinander in den Hof. Veelora sah nach ihrem Pferd, das seit der letzten Tagesreise lahmte. Zufrieden mit den Maßnahmen, die der Stallmeister angeordnet hatte, schlenderte sie mit mir weiter. Meine Großmutter wurde noch häufiger gegrüßt als der Kammerherr gewöhnlich. Es schien niemanden in der Kronenburg zu geben, den sie nicht kannte und für den sie nicht ein kurzes, freundliches Wort hatte.
»Komm«, sagte sie schließlich erschöpft, »laß uns irgendwohin gehen, wo keine Leute
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