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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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einmal trunken und leidenschaftlich zum Abschied. Jenka nickte mir zu, und ich lächelte dankbar, erschöpft und benebelt. Ich schleppte mich zurück ins Bett und fiel in die zerwühlten Kissen. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Luftballon, gleichzeitig leicht und zum Zerplatzen gespannt.
    »Zufrieden?« fragte meine Schwester.
    Ich stöhnte nur und versuchte, meinen Kopf unter dem Kissen zu verbergen. »Geh weg, laß mich in Ruhe«, sagte ich dumpf.
    Sie setzte sich bequem auf mein Bett, steckte die bloßen Füße unter meine Decke und sagte: »Im Gegenteil. Ich wollte dir schon lange was zeigen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt dafür gekommen, denke ich.«
    »O bitte!« sagte ich gleichgültig. »Du wirst doch nicht gerade jetzt mit mir einen Ausflug unternehmen wollen!« Wir standen in einem zum Innenhof hin offenen Wandelgang der alten Burg. »Was gibt es denn hier so Wichtiges?«
    Sie sah sich in aller Ruhe um, musterte die Menschen, die an uns vorbeigingen. So weit ich sehen konnte, waren die Leute mir nicht persönlich bekannt, es schienen die üblichen Höflinge und Edelfrauen, Adligen und Hofbeamten zu sein.
    Meine Schwester zupfte mich am Ärmel. »Da!« sagte sie. »Siehst du den Mann da?«
    Ich sah mich gelangweilt um. »Ja, sicher«, sagte ich. »Und?« Er kam genau auf uns zu, ein großer, stattlicher Edelmann in der Blüte seiner Jahre, athletisch gebaut und durchaus gutaussehend, obwohl er auch etwas molluskenhaft Schlaffes an sich hatte. Er war auf das Vornehmste gekleidet, und seine gepflegten, weißen Hände waren mit kostbarem Schmuck überladen. Sein Gesicht kam mir seltsam bekannt vor. Ich sah es mir genauer an. Es wirkte ebenmäßig und besaß einen lüsternen, unersättlichen Zug um den Mund, der mich abstieß. Es war das Gesicht eines zügellosen, genußsüchtigen Menschen.
    »Siehst du ihn dir gut an?« flüsterte meine Schwester. »Das ist der mächtigste Mann auf dieser Welt. Schau hin, Elloran.«
    Ich sah ihm nach. Er wurde von den Edelleuten, an denen er vorbeikam, untertänigst gegrüßt und machte sich selbst kaum die Mühe zurückzugrüßen. Sein Blick ruhte auf einem alten Mann am anderen Ende des Wandelganges, der ihm freudig entgegenkam. Meine Schwester nahm mich beim Arm und zog mich hinter dem Mann her, der jetzt den Älteren freundschaftlich um die Schulter gefaßt hatte und mit ihm hinaus in den Rosengarten schlenderte. »Er hat alles erreicht, was ein Mensch erreichen kann, der nach Macht giert und gewissenlos genug ist, vor nichts zurückzuschrecken, um sie zu erreichen«, erläuterte sie atemlos, während sie mich hinter sich herzerrte. »Er hat irgend etwas an sich, daß die Menschen ihn lieben und ihm vertrauen, und das nutzt er gewissenlos aus. Er hat einen jeden skrupellos beseitigt, der ihm im Weg stand, ob es nun seine eigene Familie war oder ein vollkommen Fremder. Wen er benutzen konnte, hat er benutzt und sich danach seiner entledigt.«
    Die beiden Männer vor uns schlenderten über die verschlungenen Gartenwege. Die Rosenhecken dufteten betäubend süß. Wie verhext lauschte ich der Stimme meiner Schwester. »Er hat seine Freunde ermordet und seine Gönner hinrichten lassen; er räumt Menschen aus seinem Weg wie lästiges Ungeziefer, und nun ist er dort, wo er hinwollte: an der Spitze der Macht, unumschränkter Herrscher über den größten Teil der Welt, ein Mann ohne einen Funken Moral und ohne jedes Gewissen. Sieh jetzt hin, Elloran!«
    Betäubt sah ich zu, wie der Mann seinen Begleiter zu sich herab auf eine überwucherte Bank zwischen üppigen, dunkelrot blühenden Rosensträuchern zog. Er legte liebevoll seinen Arm um den alten Mann und stieß ihm einen juwelenbesetzten Dolch tief in die Seite. Das Antlitz des anderen erbleichte; fassungslos und noch immer voller Liebe hing sein brechender Blick an dem lächelnden Gesicht seines Mörders. Der sah mit grausamer Befriedigung zu, wie sein Opfer unter Qualen starb, wischte gleichgültig seinen Dolch und die blutigen Hände an einem kostbaren Spitzentuch ab, das er achtlos fallen ließ, und ging mit festem, ruhigem Schritt davon. Die Blutflecke auf dem Tüchlein waren vom gleichen Farbton wie die unzähligen Rosenblätter, zwischen denen es am Boden lag.
    Mir wurde so übel, daß ich mich heftig übergeben mußte. »Warum zeigst du mir das?« fragte ich keuchend. »Was soll das b-bedeuten?«
    »Was hat er gesagt?« Ein feuchtes Tuch wischte über mein schweißbedecktes Gesicht.
    »Ich habe ihn nicht verstanden.

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