Ellorans Traum
einsperren? Gut, dann würde ich auch keinen freiwilligen Schritt aus meinen Räumen tun! Er selbst suchte mich regelmäßig auf, aber ich weigerte mich, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, und er verließ mich mit jedem Mal verbitterter.
Ich blätterte lustlos in den Büchern, die man mir brachte; aus Langeweile aß ich alles, was mir aufgetischt wurde, bis auf den letzten Krümel auf. Ich war schließlich so vollgestopft, daß ich mich kaum mehr rühren konnte; ich verschlief den halben Tag und sehnte mich mit jedem Atemzug, den ich tat, nach Cesco.
Nach mehreren Wochen Einzelhaft hätte ich mich wahrscheinlich sogar darauf gefreut, ein Schwätzchen mit meinem Vater zu halten. Die seltenen Besuche meiner Traumschwester lenkten mich zwar ein wenig ab, aber sie waren nicht wirklich; Unterhaltungen mit ihr hatten immer den Beigeschmack von Selbstgesprächen. Gespräche mit einem sehr widerborstigen Selbst, das mich ständig zur Weißglut reizte – aber es blieben eben doch Selbstgespräche.
Nach einer unruhigen Nacht voller düsterer Träume saß ich mit einem Becher Schokolade in meiner Fensternische, ein Buch unbeachtet im Schoß und meinen blinden Blick auf den spätsommerlichen Hof gerichtet. Echos meiner Träume gaukelten hinter meiner Stirn.
»Was bezweckst du damit, Schüler? Ich verstehe deine Taktik nicht.«
»Du wirst sie auch erst begreifen, wenn es zu spät ist, alte Frau. Ich mache dir ein Angebot: Gib auf, bevor du eine schändliche Niederlage erlebst. Du kannst nun nicht mehr gewinnen.«
»Täuschst du dich nicht?«
»Höre ich da Unsicherheit in deiner Stimme, alte Freundin? Ich rate dir: Nimm mein Angebot an. Ich mache es dir kein zweites Mal.«
Ich schreckte hoch. Es hatte geklopft, wahrscheinlich der Diener, der mein Frühstück abräumen wollte. »H-herein«, rief ich. Wie lächerlich, ein Gefangener, der jemanden höflich in seine Zelle bat! Die Tür schwang auf, aber ich sah nicht auf.
»Besuch für dich«, meldete die freundliche junge Soldatin, die in dieser Woche mein Wachhund war. Oh, ihr bösen Geister, dachte ich, nicht schon wieder Karas! Er war erst gestern dagewesen, hatte schweigend in der Tür gestanden und mich angesehen wie ein waidwundes Reh. Es schüttelte mich, wenn ich nur daran dachte.
Die Frau trat beiseite und ließ einen stämmigen, dunklen Mann eintreten. Ich blickte ihm entgegen und sprang dann aus der Fensternische, daß Becher und Buch zu Boden flogen. Er tat zwei Schritte in den Raum und blieb stehen, um mich anzusehen wie einen völlig Fremden. Ich blickte verwirrt kurz an mir herunter: Wie meist in der letzten Zeit war ich in ein langes hemdähnliches Gewand aus nachtblauer Seide gekleidet, das, wie Cesco zärtlich gesagt hatte, genau die Farbe meiner Augen besaß. Es spannte mittlerweile gefährlich um Bauch und Hüften, aber ich liebte es, weil mein Prinz es mir geschenkt hatte. Meine Haare waren ungekämmt und nachlässig mit zwei schmalen, seidenglatt polierten Holzstäben hochgesteckt, ebenfalls ein Geschenk von Cesco.
Warum starrte er mich nur so seltsam an?
»T-Tom«, sagte ich unbehaglich, weil er beharrlich schwieg. »W-wo kommst du her?« Er schüttelte den Kopf, als wolle er eine Benommenheit daraus vertreiben und lächelte sein vertrautes, liebevolles Lächeln.
»Hallo, mein Kleiner. Ich bin gerade angekommen und dachte, ich mache dir meine Aufwartung. Wenn ich geahnt hätte, daß ich dafür einen offiziellen Passierschein von ganz oben brauchen würde, hätte ich mir die Sache sicher noch mal überlegt.« Er lachte breit. »Was hast du angestellt? Ein Attentat auf die Krone verübt?«
Ich stöhnte und mußte dann auch lachen. »Viel schlimmer, Kater. Ich habe m-meinen Großvater verärgert.«
Er lachte verständnisvoll. »Ich kenne den alten Herrn ja nicht, aber ich kann mir vorstellen, daß er unangenehm werden kann – wenn er nur halb so stur ist wie sein Enkel, wollte ich damit sagen. Sag mal, willst du mich hier eintopfen lassen, oder darf ich mich setzen?« Ich wurde rot und machte eine einladende Handbewegung. Wir saßen uns gegenüber und sahen uns seltsam gehemmt an.
»Du hast dich sehr verändert«, sagte er nach einer langen Pause. »Wie ist es dir ergangen, nachdem ...«
»Nachdem Quinn mich rausgesetzt h-hat, meinst du?« Ich war selbst erstaunt, wie bitter meine Stimme klang. Er biß sich auf die Lippe und sah schuldbewußt drein.
»Es tut mir wirklich leid, daß es so gekommen ist«, sagte er leise. »Ich habe nicht
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