Ellorans Traum
Ich stockte und blickte sie fragend an. Sie war mit ihren Gedanken offensichtlich ganz weit weg.
»Jemaina«, sagte ich behutsam, »w-wie lange werde ich n-noch leben?« Sie zuckte zusammen und löste ihre Hand aus meinem Griff. Sie griff nach dem kleinen Beutel mit Tabak und stopfte ihre Pfeife. Ich ließ sie nicht aus den Augen. »Du darfst mich nicht belügen«, drängte ich. »Ich habe ein R-Recht darauf, es zu wissen!«
Sie entzündete den Tabak und paffte ein paar Züge. Ihr Gesicht unter dem langsam ergrauenden Haar wirkte nachdenklich und ernst. »Setzen wir uns?« schlug sie vor und hockte sich auf einen großen Stein. Ich schmiegte mich an sie und legte meinen Arm um ihre Hüfte.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Aber wahrscheinlich bleibt dir nicht mehr viel Zeit, Kind. Drei Jahre; vier, wenn du Glück hast. Aber vielleicht auch weniger. Du hast eine irrsinnig große Menge Gift im Körper. Eigentlich dürftest du gar nicht mehr hier neben mir sitzen.« Sie verstummte, und ich senkte den Kopf.
»Man k-kann nichts dagegen tun?« flüsterte ich und spürte, wie sie den Kopf schüttelte.
»Ich kann dir nicht helfen, ich kenne kein Mittel dagegen. Vielleicht könnte es Akim ja«, sie verstummte und blies einen Rauchkringel in die Luft. »Aber der wird dir nicht helfen. Rechne zumindest nicht damit. Er verbirgt vieles vor uns, aber ich glaube nicht, daß er es böswillig tut. Er darf es wohl nicht, die Allianz erlaubt es nicht ...«
Ich fror. Drei Jahre, wenn ich Glück hatte? Und bis dahin böse Träume, immer wieder Augenblicke, an die ich mich nicht würde erinnern können, und Angst vor einem schrecklichen Tod? Wäre es nicht besser, mich gleich jetzt zu töten und es hinter mir zu haben? Jemaina sah mich besorgt an und nahm mein Gesicht zwischen ihre dunklen Hände.
»Denk nicht daran«, befahl sie. »Ich verspreche dir, ich werde nach einem Weg suchen, dir zu helfen. Und wenn ich versage, dann werde ich zumindest dafür sorgen, daß du nicht leiden mußt. Du hast mein Wort darauf, mein Kind!« Ich umarmte sie mit trockenen Augen und schmerzender Kehle.
Jemaina und Akim verabschiedeten sich zärtlich voneinander. Ich sah der Heilerin nach, wie sie ihr olyssisches Pony bestieg und davonritt. Akim schwang sich auf den Bock, atmete erleichtert auf und sagte: »Ah, das ist doch ganz was anderes als ein Sattel!« und gab dem Schimmel das Zeichen, anzuziehen.
Ich hatte mich entschieden, heute lieber zu reiten und trabte stumm neben Tom her. Er summte tonlos vor sich hin. Sein Blick war verschattet und melancholisch, eine Stimmung, die so überhaupt nicht zu meinem Reisegefährten zu passen schien. Ich räusperte mich und erzählte ihm die Geschichte von der Frau, die ihr Mann mit dem Knecht im Heu erwischt hatte. Sein Gesicht blieb zuerst düster, aber dann begannen seine Mundwinkel sich zu kräuseln. Ich schwatzte einfach drauflos, um Tom abzulenken. Na gut, ein bißchen auch, um mich selbst abzulenken. Es gelang.
Gegen Abend erreichten wir Nelan. »Hoffen wir nur, daß sie noch keine Beschreibung von uns haben«, unkte Akim, als wir in die Stadt hineinrollten.
Das Haus der Heilergilde war groß und weitläufig, die freundliche Eingangshalle ähnlich belebt wie der Marktplatz der Kronstadt. Akim wurde von einigen der Anwesenden gegrüßt. Er sprach kurz mit einer großen, fülligen Norrländerin, die eine Art Pförtnerin zu sein schien – und kam dann zu uns zurück.
»Wir haben Glück«, sagte er. »Der Großmeister ist da und hat Zeit für mich. Und wir können in einem Gastzimmer der Gilde übernachten, müssen also nicht das Risiko eingehen, in der Stadt womöglich erkannt zu werden.« Er schien sich wirklich zu sorgen, daß unsere – meine – Beschreibung schon im Umlauf war.
Später saßen wir in der sogenannten Kantine und nahmen ein herzhaftes Abendessen zu uns – genauer gesagt, Tom und Akim nahmen es zu sich. Ich war wieder zu meinen geliebten Gemüsestengeln und Getreidebreien zurückgekehrt. Ich kaute mißmutig auf einem zähen Stück Dörrobst herum und sah mich in dem großen, hell erleuchteten Raum um.
»Der Großmeister schickt eine erfahrene L'xhanische Heilerin nach Salvok. Und er wird eine Nachricht an den Burgherrn mitsenden, daß Jemaina wegen Gildenangelegenheiten aus Salvok abberufen wird. Das ist vielleicht unnötige Vorsicht, aber ich denke, in diesem ganzen Intrigenspiel kann eine falsche Fährte nicht schaden. Ehe wir nicht wissen, wer hinter den
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