Ellorans Traum
und ich bin ehrgeizig.« Er trank. Ich beobachtete ihn neugierig. Für ehrgeizig oder machtbesessen hätte ich den Magier nie im Leben gehalten. Er bemerkte meinen skeptischen Blick und hob die Schultern.
»Das liegt bei uns in der Familie«, fügte er mit scherzhaftem Unterton hinzu. »Sieh dir deinen Großvater an: Ehe der seine Macht aus den Händen gibt, stirbt er lieber. Und meine liebe Mutter ist nicht viel anders. Das hast du doch am eigenen Leibe erfahren dürfen. Ich bin dagegen geradezu bescheiden. Ich werde der nächste Oberste Magus sein – wenn die alte Leonie endlich einmal das Feld räumt, heißt das.« Er runzelte die Stirn. »Leonie ist seit mehr als einhundertfünfzig Jahren unsere Oberste Maga, und sie klammert sich mit Zähnen und Klauen an den Titel – wie eine Nisgardische Leopardin an ihr Opfer. Viele meiner Kollegen sind, was ihre dringend fällige Ablösung betrifft, auf meiner Seite.«
Ich unterbrach ihn zweifelnd. »Julian, du w-willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, daß Leonie wahrhaftig h-hundertfünfzig Jahre auf dem Buckel hat!«
»Nein, natürlich nicht«, lachte er. »Sie muß inzwischen sogar weit über zweihundert sein. Ich habe dir doch gesagt, daß Zauberer sehr alt werden. Allerdings bricht Leonie alle Rekorde, was das angeht. Sie hat noch sehr viel von dem alten Blut in sich. Keiner von uns Jüngeren kann damit rechnen, sehr weit über die Mitte seines zweiten Jahrhunderts hinauszukommen.«
Es lief mir eiskalt über den Rücken. »G-gut«, sagte ich mühsam. »Eine andere Frage: Was soll diese ›Kopf der Unterwelt‹-Maskerade? Wie paßt das in deine abenteuerliche Geschichte h-hinein?«
Er schüttelte leise tadelnd den Kopf. »Neffe, soll das etwa heißen, daß du mir nicht glaubst, mir eventuell sogar mißtraust? Das trifft mich allerdings hart!«
»Julian, wenn d-du so oft belogen worden wärest wie ich, würdest du dir auch gut überlegen, ob du überhaupt n-noch jemandem dein Vertrauen schenkst. Blind mit Sicherheit nicht!«
Er nickte bestätigend. »Gut, Elloran, sehr gut. Behalte das unbedingt bei, dann wirst du noch sehr alt.« Ich gab einen gutturalen Laut von mir.
Ohne mich weiter zu beachten, fuhr der Magier fort: »Das hier in Haven ist für mich nichts weiter als eine Fingerübung.« Er machte mit seinen schlanken Fingern eine komplizierte Geste und lächelte. »Es war eine Zeitlang recht interessant und ist immer noch mehr als ertragreich, aber inzwischen langweilt es mich zu Tode. Ich erwarte mehr von meinem Leben als die Kontrolle über eine einzelne Stadt. Und ich denke, ich werde mehr als das bekommen. Mit deiner Hilfe, Neffe.« Er betrachtete mich. Etwas Lauerndes lag in seiner Haltung.
Ich hob eine Hand und protestierte schwach. »Nicht s-so schnell, Julian. Du hast mir sehr viel zu schlucken g-gegeben, was ich erst einmal verdauen muß.«
Er atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. »Du hast recht, Junge. Es ist schon spät – oder besser gesagt: früh. Ich habe dir ein Zimmer hergerichtet, du kannst gerne ab heute bei mir wohnen. Wir haben in den nächsten Tagen noch sehr viel zu besprechen.«
Ich war zu erschlagen, um mich dazu zu äußern. Julian führte mich zu meinem Zimmer – anscheinend gab es in diesem Haus keinerlei Dienerschaft – und wünschte mir einen erholsamen Schlaf. Ich hatte vermutet, daß mein Grübeln mich noch lange wachhalten würde, aber seltsamerweise konnte ich sofort einschlafen.
Ich erwachte spät am Tag und stand nicht sofort auf. Rauchend und in Gedanken versunken lag ich auf dem Bett, als es leise klopfte. »Ja?« rief ich.
Julian öffnete die Tür und fragte fröhlich: »Wie wäre es mit einem Happen zu essen, Elloran? Wir könnten dabei noch ein wenig plaudern.« Ich sah ihn nachdenklich an. Er erwiderte meinen Blick offen und ehrlich und mit einem leisen Lächeln, als könne er meine Gedanken lesen. Ich kam auf die Beine und strich meine Haare zurück. So langsam schien meine natürliche Haarfarbe wieder durchzukommen. Aber bis hierher hatte Ranans Färbung ihren Zweck erfüllt.
»Ich komme s-sofort, Julian«, sagte ich und kleidete mich an. Er nickte und schloß die Tür.
Das Essen war reichlich und sehr schmackhaft zubereitet. Ich fragte mich, ob der Magier nicht doch irgendwo Personal versteckt hielt.
»Morgen schaffst du Nikal aus der Stadt, nicht wahr?« fragte Julian beim Dessert.
Ich nickte. »Warum vers-sucht er eigentlich, dich zu töten?« fragte ich.
»Ich bin mir nicht ganz
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