Ellorans Traum
sicher. Ich verstehe die Natur seiner Gedächtnisstörungen nicht. Er erkennt mich nicht, das weiß ich. Aber ich muß etwas für ihn bedeuten, das er beseitigen will. Er hat über ein Jahr für mich gearbeitet, ehe er das erste Mal versuchte, mich umzubringen. Ich war nicht darauf vorbereitet, und es wäre ihm fast gelungen.« Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Danach war ich vorsichtiger. Ich habe ihn im Auge behalten, und beim nächsten Versuch hätte ich ihn beinahe festsetzen können. Aber es gelang ihm zu entkommen, und seitdem geistert er durch Haven und bildet sich ein, ich würde ihm Meuchler auf den Hals hetzen. Was im übrigen nicht stimmt. Wenn ich gewollt hätte, daß er stirbt, dann wäre er längst bei den Fischen.« Er nahm ein Stück Konfekt von einem Teller und steckte es sich in den Mund. Dann leckte er sich genüßlich die Finger ab und lachte.
»Weißt du, vielleicht sehe ich die ganze Angelegenheit auch viel zu verworren. Es ist durchaus möglich, daß unser Freund nur auf meine Stellung scharf ist und mich deshalb aus dem Weg räumen will.« Er fand diesen Gedanken offenbar äußerst amüsant.
Ich stand auf und dankte ihm für die Mahlzeit. Er sah mich unter seinen in die Stirn hängenden zotteligen Haaren an und fragte: »Was ist mit meinem Angebot? Du kannst hier bei mir wohnen.«
»Gerne«, sagte ich ehrlich. »Ich bleibe noch eine N-Nacht bei Katarin und verabschiede mich morgen von ihr. Sobald ich Nikal abgeliefert h-habe, ziehe ich zu dir.«
»Fein«, freute er sich und rieb sich die Hände. »Du hast dann sicherlich noch einen Sack voll Fragen an mich.«
»Worauf du dich verlassen k-kannst«, antwortete ich nachdrücklich.
Ich sandte Nikal eine Nachricht, daß wir uns am nächsten Tag bei dem Mietstall treffen würden, wo ich mein Pferd untergestellt hatte. Danach wanderte ich hinunter zum Singenden Kamel und besuchte Tomas. Ich wollte meine Vorräte aufstocken, denn mein Verbrauch war in den letzten Tagen deutlich angestiegen. Dank Julians großzügigem Taschengeld war ich in der glücklichen Lage, ihr eine größere Menge an Glück abzukaufen, ohne allzu hart verhandeln zu müssen. Sie schob mir die verlangten zehn Päckchen wortlos zu und strich die beiden Goldychs dafür ein. Ihre Fingernägel hatte sie heute in einem irisierenden Silberton lackiert und die brünetten Haare zu einer Unzahl dünner Zöpfe geflochten, an deren Enden kleine Silberperlen baumelten, die leise klirrten, wenn sie aneinanderstießen. Sie lächelte mich an und fragte leise: »Geht es dir nicht gut, Elloran? Du siehst elend aus.«
»Ich war ein paar Tage nicht auf dem Damm, Tomas, aber jetzt ist alles wieder in b-bester Ordnung.«
Sie erhob sich und legte mir eine federleichte Hand auf die Schulter. »Rauch nicht soviel«, hauchte sie und verließ die Schenke. Ich kehrte zu Katarins Behausung zurück und packte meine spärlichen Habseligkeiten zusammen. Fast ein wenig wehmütig sah ich mich in dem kleinen Zimmer um. Noch eine Nacht in dem schmalen Bett, der Abschied von Katarin und dann der Ritt mit Nikal, vor dem mir nicht wenig grauste. Hoffentlich waren die anderen pünktlich am Treffpunkt. Ich hatte nicht die geringste Lust, auch nur eine Sekunde länger als unbedingt nötig allein mit diesem Irren zu verbringen.
Katarin nahm bei unserem letzten gemeinsamen Frühstück die Nachricht, daß ich ausziehen würde, ruhig und ein wenig enttäuscht entgegen. Ich bot ihr noch eine Wochenmiete zusätzlich an, aber das schlug sie fast beleidigt aus.
»Ich bin nicht darauf angewiesen«, sagte sie. »Ich habe einfach gerne ein wenig Gesellschaft, deshalb vermiete ich das Zimmer. Wo ziehst du denn jetzt hin? Oder verläßt du Haven etwa wieder?«
Ich antwortete ohne vorher nachzudenken: »Ich w-wohne ab jetzt bei Ruud«, und hätte mich in dem Augenblick, da die Worte draußen waren, am liebsten geohrfeigt. Sie erstarrte.
»Was hast du gesagt?« fragte sie heiser. »Bei Ruud?« Ihr Gesicht verhärtete sich. Sie blickte mich angewidert und enttäuscht an. »Daß ich mich so in dir täuschen konnte! Das hätte ich nie von dir gedacht, Elloran. Wie kannst du dich nur mit einem solchen Untier einlassen? Bitte, geh jetzt. Ich will dich nicht wiedersehen.« Sie stieß heftig ihren Stuhl zurück und ging in ihr Zimmer. Die Tür schloß sich mit einem sehr endgültig klingenden Geräusch, und ich saß da, unsicher, ob ich nun lachen oder weinen sollte. Wieder ein Mensch, der mich nicht mehr sehen wollte. Wenn
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