Ellorans Traum
Medizin, Elloran. Damit könntet ihr auch ein weit höheres Alter erreichen, als es euch jetzt möglich ist. Ich selbst wüßte viel lieber, wie die Magier es bewerkstelligt haben, ihr Leben ohne medizinische und technische Unterstützung zu verlängern!«
Er hatte mir nicht geantwortet, und was er gesagt hatte, hatte ich nur teilweise verstanden. Ich beließ es für heute dabei. Nikal sah erschöpft aus. Ich bot ihm mein Bett an. Nikal lächelte mich dankbar an. Ich sah sein eingefallenes Gesicht und glaubte mit einem Mal Julians unsinnig klingende Aussage über Niks Alter. Er sah aus, als sei er über hundert Jahre alt, weit darüber.
»Danke, Ell. Ich bin noch nicht ganz wiederhergestellt«, sagte er leise. »Eigentlich dürfte ich gar nicht hier herumlaufen – Maddoc wird mich übel dafür beschimpfen.« Er winkte ab. »Mach dir keine Sorgen, Kleines. Ich bin bald wieder ganz in Ordnung. Bald ...« Er sank auf das Lager und seufzte zufrieden.
»Schlaf gut, Nik.«
»Ell?«
»Ja?«
»Bist du mir noch böse?«
»Nein. Nein – Vater.« Ich verließ fluchtartig den Raum.
»Komm herein, Elloran«, sagte eine Stimme. Ich trat ein und stand starr vor Staunen. Im Lehnstuhl am Fenster saß Leonie und schien mir entgegenzusehen. Ich fand mich neben ihr wieder, ihre Hand in meiner haltend. Ihre blicklosen Augen sahen gespenstisch durch mich hindurch; sie erschien mir fast zerbrechlich, als hätte sie all ihre Stärke in der vergangenen Nacht eingebüßt.
»Elloran«, sagte sie ruhig. »Du hast mich zurückgerufen.« Sie umfaßte mit festem Druck meine Finger. »Danke. Ohne deine Hilfe hätte Julian uns alle vernichtet.«
»Aber er hat mich wieder eingewickelt«, protestierte ich. »Leonie, ich wäre m-mit ihm gegangen. Wirklich, er ...«
»Sch!« sagte sie sanft. »Du bist ihm nicht gefolgt, Elloran. Du hast ihn besiegt.«
Ein Rabe krächzte und landete auf ihrer Schulter. Ich zuckte zusammen, aber sie hob die Hand und liebkoste ihn. »Sei mir gegrüßt, Magramanir«, murmelte sie. Die Rabin wandte ihren Kopf und sah mich an. Ich erwiderte unbehaglich ihren Blick. »Du siehst aus, als hättest du dich mit jemandem geprügelt.« Ich traute meinen Ohren nicht. Leonies erloschene Augen starrten an mir vorbei. »Was ist passiert?« fragte sie. Ich berichtete ihr stammelnd von Nikal. Sie nickte und lächelte. »Die Allianz. Sie ist sehr interessant, wie ihr Botschafter.« Sie runzelte die Stirn. »Er ist wieder hier. Ich bin gespannt zu hören, was er ...« Es klopfte, und sie rief ungeduldig: »Kommt herein!«
Karas trat ein – und hinter ihm Galen und Veelora. Ich bemerkte, daß Magramanir ihnen den Kopf zuwandte.
»Mein Herr«, grüßte Leonie und machte schwache Anstalten, sich zu erheben. Karas hinkte auf sie zu und hinderte sie daran.
»Nicht, alte Freundin«, sagte er, und ich sah die Erschütterung in seinem Gesicht. »Ich bin froh, daß du lebst.«
Ich warf dem Botschafter einen neugierigen Blick zu und erschrak. An sein Aussehen, das alles andere als das eines gewöhnlichen gesunden Menschen war, hatte ich mich anscheinend so weit gewöhnt, daß ich jetzt bemerkte, wie schlecht er aussah. Sein Gesicht war von einer solch leichenhaften Blässe, daß es leicht bläulich schimmerte, und seine farblosen Augen erschienen trüb und glanzlos. Er bemerkte, daß ich ihn musterte und trat zu mir. Seine Bewegungen hatten ihre fließende Eleganz eingebüßt, er bewegte sich schwerfälliger als sonst, fast mühsam, als bereite ihm jeder Schritt Schmerzen.
»Wie ist es dir ergangen?« fragte er und musterte den blauen Fleck, der meine Wange zierte. Ich hob die Achseln. Das Gefühl, neben einem Wesen zu stehen, das von einer völlig anderen Welt stammte, war zugleich beängstigend und erregend. Er spitzte ein wenig die Lippen und legte seine Finger um mein Handgelenk. Zu meiner Überraschung fühlten sie sich nicht so eisig wie früher an, sondern besaßen fast menschliche Temperatur.
– Er hat mit dir gesprochen.
– Ja.
– Ist es schlimm für dich?
– Ich weiß es nicht. Ich muß erst darüber nachdenken.
– Wo ist er jetzt?
– In meinem Bett. Er schläft.
In meinem Geist klingelte ein melodisches Lachen, aber das Gesicht des Wesens neben mir blieb unbewegt. »Bringst du mich nachher zu ihm?« fragte der Botschafter laut. Ich nickte. Galen ließ mich los und gesellte sich zu Karas und Veelora, die leise mit Leonie gesprochen hatten. Er griff nach dem Handgelenk der Blinden und legte zwei Finger
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