Ellorans Traum
in jedem Fall die Peitsche, ob er nun gehängt werden würde oder nicht. Jetzt blieb mir als einzige Hoffnung meine Mutter, möglicherweise konnte sie Vater noch umstimmen.
Aber Mutter erwies sich als ähnlich unzugänglich. »Hör auf, mich zu quälen, Elloran«, sagte sie. »Ich kann nichts für ihn tun. Gar nichts.«
»Mutter!« flehte ich. »Du bist die einzige, die ihm helfen kann. Jemaina glaubt, daß Reuven die nächste Woche nicht erleben wird – und dann stirbt auch Nikal!« Sie kehrte mir den Rücken zu, aber ich hatte den verräterischen Schimmer in ihren Augen gesehen.
»Glaube mir, ich bin die letzte, die Nikal helfen kann. Geh jetzt, Elloran.«
Ich stürmte türenknallend aus ihrem Gemach. Natürlich, ich war aber auch manchmal zu dumm! Da lag doch der Grund für meines Vaters Rachsucht, so klar zu sehen wie meine eigene Hand. Ich war bisher nicht sicher gewesen, ob er etwas geahnt hatte von dem, was sich zwischen dem Kommandanten und meiner Mutter abgespielt hatte – jetzt wußte ich es.
Wie zum Hohn schien am nächsten Tag eine blasse, tapfere Frühlingssonne auf Burg Salvok nieder, als ich mich wie alle andern mittags pünktlich zum Wachwechsel auf dem Hof einfand. Es waren nicht nur Männer in der aufgeregt murmelnden Menge, die sich um den Richtplatz versammelt hatte. Ich fragte mich, was einen Menschen, gleichgültig ob Mann oder Frau, dazu treiben konnte, sich solch ein Schauspiel freiwillig anzusehen. Ich selbst hätte liebend gerne darauf verzichtet.
Die Zimmerleute hatten schon morgens den Pfosten aufgerichtet, an den man Nikal binden würde. Mich beschlich der Verdacht, daß dieser Pfosten einen Teil des späteren Galgens bilden sollte – schaudernd vertrieb ich das Bild aus meinem Geist.
Jetzt trat Morak aus dem Palas und blieb am Kopf der Treppe stehen. Meine Mutter folgte ihm kurz darauf. Er gab ein Zeichen, und zwei unbehaglich dreinblickende Wachen führten Nikal vor. Er stand hochaufgerichtet mit gefesselten Händen zwischen ihnen, sein zerschlagenes Gesicht wirkte blaß und beherrscht. Der Burgherr wandte sich mit schneidender Stimme an ihn.
»Kommandant, welche Bestrafung verdient ein Soldat, der sich betrunken im Burghof prügelt?«
In Nikals Wange zuckte ein Muskel, aber seine Antwort schallte klar und deutlich über den Platz: »Zwanzig Hiebe und eine Woche Verlies, domu .«
Der Burgherr hob seine Hand und wartete, bis das erregte Gemurmel der Menge erstorben war.
»Höre mein Urteil, Kommandant der Wache: Deine wohlverdiente Strafe sind sechzig Hiebe mit der Peitsche und das Verlies so lange, bis Reuven, den du zuschanden geschlagen hast, genesen ist!« Ein Raunen und Zischeln ging durch die Versammlung. Das war das härteste Urteil, das an diesem Ort ausgesprochen worden war, seit vor Jahren der schwarze Naum gehängt wurde, weil er im Streit einen Kameraden erschlagen hatte.
Morak befahl erneut Ruhe, dann fuhr er fort, und seine Stimme war kalt und bar jeden Mitleids. »Höre weiter, Kommandant. Falls Reuven an den Folgen deiner Schläge stirbt, erwartet dich der Galgen. Das ist mein Spruch, und unumstößlich soll er sein, sonst möge mich die Göttin strafen!«
Nikal stand da wie versteinert. Ich sah, wie er den Blick meiner Mutter suchte und sie ihr Gesicht abwandte. Seine Schultern sanken für einen Augenblick herab, aber dann straffte er sie wieder und ließ sich von seinen Bewachern zu dem aufgerichteten Pfahl bringen. Sie führten die Stricke an seinen Handgelenken durch einen dort angebrachten Haken und zogen daran, bis sich seine Arme fast gestreckt über seinem Kopf befanden. Dann schnitt einer der beiden ihm das zerfetzte Hemd vom Leib. Sameel trat mit der neunschwänzigen Katze an ihn heran, holte weit aus, und mit einem pfeifenden Knallen ging der erste Schlag der Peitsche nieder. Nikal zuckte zusammen, aber aus seinem Mund kam kein Laut. Mit quälend langen Pausen zwischen den einzelnen Schlägen fuhr Sameels Arm auf und nieder. Nikal schrie noch immer nicht, aber ich hörte seinen stöhnenden Atem. Mir wurde so übel, daß ich glaubte, mich beim nächsten Schlag übergeben zu müssen.
Nach dem letzten Schlag ließ Sameel die Peitsche sinken. Nikal hing bewußtlos an den Stricken, die ihn an den Balken fesselten. Die Wachen banden ihn los und zerrten ihn auf die Beine. Sein Rücken schien keinen Streifen heiler Haut mehr aufzuweisen, nur noch rohes Fleisch, von dem das Blut herunterlief.
Mit ihrem Bündel in der Hand schritt Jemaina zielstrebig
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