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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill
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keiner vorschlug, ihn statt dessen einfach zu erschlagen. Julians einzige Sorge schien darin zu bestehen, wie er Nikal ohne Hilfe zur Stadt der Zauberer befördern sollte.
    »Vielleicht sollte ich zwei seiner Soldaten zumindest ein Stück des Weges als Eskorte mitnehmen«, überlegte er gefühllos. »Zu dritt müßten wir in der Lage sein, einen Tobsüchtigen unter Kontrolle zu halten.«
    Ich wollte meiner Empörung Luft machen, da verschlug es mir vor Schreck den Atem: In der Tür zum Nebenraum stand der totenbleiche Nikal und klammerte sich an den Rahmen. Er hatte offensichtlich das ganze grausame Gespräch mitangehört. Mein Herz zersprang beinahe vor Mitleid, ich stieß den Stuhl zurück und rannte blindlings aus der Kate.
    Am Fluß kam ich wieder zu mir, voller Scham über meine feige Flucht. Grün und weiß schäumte das Wasser vorbei, nicht länger vom Eis behindert. Nur hier und da war der Fluß an den Uferrändern noch gefroren, ringsumher taute der Schnee.
    Hinter mir knirschten schwere Schritte durch Schnee und feuchten Sand. Ich drehte mich nicht um. Ich konnte Julians Anblick so wenig ertragen, wie ich seine Stimme hören wollte – Pläne schmiedend, wie ich Nikal am geschicktesten zu seiner Abreise überreden konnte. Es widerte mich an. Er blieb so dicht hinter mir stehen, daß ich ihn atmen hören konnte. Aber er sagte nichts, stand nur da und wartete.
    »Was willst du?« fragte ich schroff und den Tränen nahe. Er schwieg. »Geh bitte. Es kümmert mich nicht, was du mit Jemaina ausgeheckt hast. Nikal ist dir in Wirklichkeit doch völlig gleichgültig!«
    Er holte tief und bebend Luft, ein hoffnungsloses Seufzen, das ganz und gar nicht nach dem Magier klang. Ich fuhr herum und blickte in Nikals Gesicht.
    »Gehen wir ein paar Schritte?« bat er leise.
    Wir wanderten langsam den Treidelpfad am Flußufer hinunter. Ich blickte ihn verstohlen von der Seite an. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und er sah müde und gequält aus. Die kräftigen, stark geäderten Hände hingen reglos an seinen Seiten herab, sein Bauch wölbte sich weich unter der warmen Wolltunika, und die breiten Schultern begannen, sich unter der Last der Jahre zu beugen. Mein alter Freund hatte die Gefilde der Jugend erschreckend weit hinter sich gelassen. Das Gefühl hilfloser Liebe zu ihm, das mich bei seinem Anblick überkam, war so stark, daß es mich heftig im Halse würgte.
    Wir waren schon fast beim Dorf angelangt, als Nikal sein Schweigen brach. »Denkst du auch, ich werde verrückt?« fragte er ruhig. Ich konnte nicht sofort darauf antworten. Ich wußte ja selbst kaum, was ich glauben sollte. Nikal blieb stehen und sah mich an. Sein freimütiger, fast kindlich vertrauensvoller Blick traf mich bis ins Mark.
    »Nein«, hörte ich mich sagen. »Nein, Nik, das glaube ich nicht!« Ich will es nicht glauben , schoß mir durch den Kopf. Nikal wandte sich ab, um zur Burg zurückzukehren.
    »Ich schon«, sagte er mit einer schrecklich unbeteiligten Stimme, als redeten wir über einen Fremden. »Ich werde wohl besser meinen Abschied nehmen, solange mir das noch ehrenvoll möglich ist.« Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt. Wie konnte er nur so tun, als wäre nichts?
    »Nik!« Mein Ruf brachte ihn zum Stehen. Ich blickte ihn unglücklich an und suchte nach Worten. Er lächelte; ein schwacher Abglanz seines gewohnten Lächelns, das erstarb, ehe es seine Augen erreichen konnte.
    »Ich reite mit Julian, sobald das Wetter es zuläßt. Hoffentlich steht sich Jemaina mit ihren Göttern so gut, daß sie mir bis dahin einen halbwegs klaren Verstand bewahren kann. Ich habe wenig Lust, gebunden wie Schlachtvieh vom Hof gekarrt zu werden. He, Kleiner, du weinst doch nicht etwa!«
    »Ich weine nicht«, behauptete ich trotzig. »Der kalte Wind ist schuld.«
    »Ja, sicher«, sagte Nikal sanft. Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück und trennten uns wortlos am Burgtor. Ich sah ihm hinterher, als er schwerfällig zum Burgfried hinüberstapfte, und verfluchte das Schicksal in allen Tonlagen.
    Inzwischen war es dämmrig geworden, und ich dachte mit Schaudern an die kommende Nacht. Nach diesem Tag voller Schrecken würden meine Träume bestimmt besonders furchterregend ausfallen, auch ohne die gräßlichen Pillen; aber lieber ertrug ich noch eine Nacht voller Alpträume als Jemainas Unwillen, weil ich ihre Anweisungen nicht befolgte.
    Sie wartete schon auf mich, die unseligen Pillen lagen bereit. Ich schluckte sie mit Todesverachtung

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